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FA 4 Brückenbau zwischen Lust und Frust

Der Zustand der Lennetalbrücke – nahe der Stadt Hagen – wird vom deutschen Landesbetrieb Straßenbau NRW (Straßen.NRW) als schlecht eingestuft. Eine Verstärkung der alten Konstruktion ist nicht möglich. Quelle: Straßen.NRW

Neue Brücken braucht das Land! Die Brücken Deutschlands sind in die Jahre gekommen und müssen saniert und zum Teil neu gebaut werden. Frust schieben die Autofahrer, die immer häufiger in Staus stehen, weil an den Bauwerken gearbeitet wird. Mancher findet allerdings eher Gefallen am Thema Brücken: Denn in Europa entstehen sehenswerte Hängeseilbrücken für Fußgänger, mit denen der Tourismus angekurbelt wird. Macht alles unterm Strich einen Lust- und Umsatzgewinn für Draht-, Seil- und Kabelhersteller.

Gerade in Deutschland hängen einige Brücken in den Seilen. Politik und Wirtschaft sind von der Schieflage alarmiert und sorgen sich um die maroden Bauwerke. „Staus nerven täglich Tausende Pendler“, spricht Klaus Engel, Moderator des Wirtschaftsbündnisses „Initiativkreises Ruhr“ und Vorstandsvorsitzender des Chemiekonzerns Evonik Industries, den Autofahrern aus der Seele. Auf einigen Autobahnen sind Fahrspuren gesperrt oder Lkw können sanierungsbedürftige Brücken nicht passieren. Das sei auch ein Hemmschuh für den Standort und verursache „einen beträchtlichen volkswirtschaftlichen Schaden.“ Der Appell des Evonik-Chefs: „Der Verkehr im Ruhrgebiet, dem industriellen Herzen Europas, muss ungehindert rollen können.“ Engel nennt zwei prägnante Beispiele. „Die maroden Autobahnbrücken bei Leverkusen und Duisburg zeigen deutlich, wie dringend notwendig nachhaltige Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur sind.“

Dieter Rosenthal, Vorstandsmitglied des Maschinen- und Anlagenbauers SMS Siemag, ergänzt: „Wir haben Schwierigkeiten, unsere großen Anlagenteile zum Bestimmungsort zu transportieren. Da immer mehr Brücken für Schwerlaster gesperrt sind, müssen wir mit unseren über 100 Tonnen schweren Komponenten große Umwege in Kauf nehmen. Das führt zu erheblichen Verlängerungen der Lieferzeiten – während die Kunden genau das Gegenteil von uns erwarten.“

Handlungsbedarf
Dass Handlungsbedarf besteht, ist mit Zahlen zu belegen. Im Netz der Autobahnen und Bundesstraßen Deutschlands gibt es aktuell rund 39.000 Brücken bzw. etwa 51.000 Teilbauwerke mit einer Fläche von über 30 Millionen Quadratmetern. Von den rund 51.000 Brücken-Teilbauwerken im Netz der Bundesfernstraßen wurden „2.200 Teilbauwerke ermittelt, die entsprechend der Dringlichkeitsreihung höchste Priorität haben und vordringlich nachzurechnen sowie gegebenenfalls zu ertüchtigen sind“, formuliert das Bundesministerium für Verkehr.

Es gibt also viel zu tun und zu investieren – auch die Seil-, Draht- und Kabelhersteller sind gefordert, mit verlässlichen, modernsten Produkten die Straßen Deutschlands fit für die Zukunft zu machen. Und dafür nimmt das Bundesverkehrsministerium reichlich Geld in die Hand. Ab dem Haushaltsjahr 2015 werden die Maßnahmen zur Brückenertüchtigung mit Gesamtkosten von über fünf Millionen Euro in einem eigenen Programm, dem „Sonderprogramm Brückenertüchtigung“ geführt. „In den Jahren 2015 bis 2017 werden mehr als eine Milliarde Euro für die Brückenmodernisierung in dem Sonderprogramm zur Verfügung gestellt“, so das Ministerium weiter.

Sonderprogramm
Das Bundesland Nordrhein-Westfalen trifft es besonders hart. Allein an der Sauerlandlinie befinden sich 32 Großbrücken. Vielfach müssen sie neu gebaut werden.

Das Geld für Investitionen in Brückenneubau und -sanierung aus dem Sonderprogramm ist gut angelegtes Geld: Denn Sanierungsbedarf gibt es bei zahlreichen Brückenseilen. Schäden kommen vor allem in der Beschichtung vor. „Darunter können die Seile korrodieren oder es kann zu einzelnen Drahtbrüchen kommen“, erläutert Nicole de Witt, Brückenexpertin bei der deutschen Bundeslandeinrichtung „Straßen.NRW“ (Landesbetrieb Straßenbau NRW).

Die Praxis zeigt: „Hängeseile können gut ausgetauscht werden, die Tragseile einer Hängebrücke in der Regel nicht“, erklärt de Witt. Bei Schrägseilbrücken sei ein Austausch von Einzelteilen möglich. Bei Seilbündeln von Schrägseilbrücken seien bereits im Einzelfall Seilspreizungen vorgenommen worden, um den Korrosionsschutz für die Zukunft besser instand halten zu können. Hier komme es immer auf die einzelne Konstruktion an.

Höhere Ansprüche
Die Ansprüche an heutige Brückenseile sind hoch. Zu den grundlegenden Anforderungen gehören Tragfähigkeit, Dauerhaftigkeit, Prüfbarkeit und Gestaltung.

Neben den Seilen gibt es natürlich zahlreiche weitere „wunde Punkte“. Dazu gehören sogenannte Verschleißteile wie Geländer, Belag, Kappen, Schutzeinrichtungen, Lager, Fahrbahnübergänge und der Korrosionsschutz, die bei Bedarf „ein- bis mehrmals instand zu setzen oder zu erneuern sind.“ Im Fokus bei der Instandsetzung stehen außerdem Schäden am Beton, egal, ob an Über- oder Unterbauten.
Welcher Brückentyp als Ersatz zu bauen ist, lässt sich oft nur im Einzelfall entscheiden. Zu bedenken sind etwa Verkehrslasten und der Standort. Seilbrücken wie Hänge- und Schrägseilbrücken sind vor allem dann als Brückentyp vorgesehen, „wenn besonders große Längen zu überbrücken sind“, ergänzt Brückenexpertin de Witt.
„Man kann sicherlich sagen, dass manche Konstruktionen mehr Risiken bergen“, so de Witt. „Trotzdem ist jede Brücke einzeln zu betrachten.“

Öffnung Europas
Doch wie kommt es zu dem hohen Sanierungsbedarf bei Brücken? De Witt: „Sämtliche Brücken sind heute und zunehmend in den nächsten Jahren Belastungen ausgesetzt, die bei ihrer Planung und ihrem Bau vor 50 Jahren nicht vorherzusehen waren.“ Dazu gehören zum Beispiel das zulässige Gesamtgewicht eines Lkw sowie der Fall der Mauer und damit die Öffnung Europas, wodurch sich die Verkehrsfrequenz erhöhte. Auch die Schwertransporte nahmen zu.

Die Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg sind nicht zu vergleichen mit heute. „Das Material war knapp und man ist sicherlich an seine Grenze gegangen“, so de Witt. „Heute kann man von diesen Erfahrungen profitieren, es sind bessere Materialien und Modelle verfügbar und damit kann man besser konstruieren.“ Bei der theoretischen Nutzungsdauer von Brücken wird übrigens von 70 bis 100 Jahren ausgegangen.

Europaweit 2.000 Vorhaben
Beispiel Leverkusener Rheinbrücke. „Straßen.NRW“ erinnert daran, dass die mit zwei Fahrspuren plus Standstreifen ausgestattete Leverkusener Rheinbrücke in den 1960er-Jahren als ein zukunftsweisendes Stück Infrastruktur galt. Doch der Wandel der Zeit hat sie eingeholt: Einst konzipiert für 40.000 Kraftfahrzeuge pro Tag, hat die Brücke heute mit über 120.000 Fahrzeugen täglich ihre Belastungsgrenzen erreicht. „Den wachsenden Verkehr der Zukunft – 160.000 Fahrzeuge pro Tag sind für das Jahr 2025 prognostiziert – kann sie nicht mehr tragen.“ Seit 2012 attestieren Fachleute der Brücke einen kritischen Bauwerkzustand mit Rissen in der Tragwerkskonstruktion. Mit der Sanierung der Leverkusener Rheinbrücke wurde bereits begonnen. Bei den Arbeiten wurden die komplett von der Beschichtung freigelegten Schweißnähte in den acht Seilkammern der Brücke in Augenschein genommen. Letztlich wird die fast 50 Jahre alte Brücke aber durch einen Neubau ersetzt werden.

Aber nicht nur Deutschland muss einen Engpass überbrücken. Die Rheinbrücke in Leverkusen ist nur eines von europaweit rund 2.000 Vorhaben, die als wichtig eingestuft werden – etwa 1,3 Milliarden Euro ist das Gesamtinvestitionspotenzial groß.

Hängeseilbrücken als Tourismus-Magneten
Von Brücken sind insbesondere Transport und Logistik ganzer Volkswirtschaften abhängig. Doch nicht bei allen Brücken geht es darum, Waren zum Zielort zu bewegen oder wichtige Dienstleistungen zu ermöglichen. Auch der Tourismus setzt in einigen Regionen auf diese Bauwerke, um sich für Besucher attraktiv zu machen. Gerade in den vergangenen Jahren ist ein Trend zu beobachten: Zahlreiche Hängeseilbrücken wurden errichtet – für Passanten mit großem Erlebnisfaktor und häufig sehenswerten Aussichten. Wandertouristen nehmen die Bauten dankbar an.
Beispiel Stubnerkogelbrücke: Sie sorgt als höchstgelegene Hängebrücke für Nervenkitzel. Die 140 Meter lange Brücke auf dem Stubnerkogel im österreichischen Bad Gastein ist in 2.300 Metern Höhe ganzjährig begehbar – mit beeindruckendem Blick auf schneebedeckte Berge. Damit ist sie die höchstgelegene Hängebrücke Europas. Schwindelfreiheit ist bei der gerade mal einen Meter breiten schwingenden Seilkonstruktion notwendig – nur ein Geländer aus Maschendraht trennt Abenteuer suchende Gipfelstürmer vom 28 Meter tiefen Abgrund. Die Lauffläche ist blickdurchlässig. Trag- und Windseile begrenzen den Schwingungsspielraum.

340 Meter Spannweite
Als Tourismusattraktion etablierte sich die Hängebrücke Aletschgletscher in der Schweiz. Sie führt über die Schlucht der Massa und ermöglicht auch die Talquerung nach Belalp. Die Brückenkonstruktion ist ausgerüstet mit einem Tragseil, das einen Durchmesser von 40 mm besitzt. Die Mindestbruchlast des Seiles beträgt 1536 kN. Die 124 Meter lange Brücke allein wiegt 8080 kg und verfügt über einen ein Meter breiten Laufsteg.
Zu einer der längsten Hängeseilbrücken – mit 340 Meter Spannweite – zählt die Panoramabrücke Sigriswil in der Schweiz. Mit ihr wird der Panorama-Rundweg Thunersee abgerundet – womit die Region weiter touristisch aufgewertet wurde. Das 180 Meter über Grund errichtete Verbindungswerk ist mit Tragseilen von zwei Mal 65 mm ausgestattet. Ihre Bruchkraft beträgt zwei Mal 420 t, während sich das Eigengewicht der Seile auf 80 kg pro m, total 27 t, beläuft.

Längste Hängeseilbrücke nördlich der Alpen
Nun schickt sich eine Initiative im deutschen Mörsdorf im Hunsrück an, einen neuen Rekord aufzustellen. Geplant ist eine Hängeseilbrücke am Mückenberg über das hundert Meter tiefe Tal des Mörsdorfer Baches. Mit einer Länge von 360 Metern erreicht sie nach Fertigstellung im Herbst dieses Jahres einen Spitzenwert als längste Hängeseilbrücke nördlich der Alpen und wird damit umso lohnenswerter für Touristen. Der initiierende Arbeitskreis „Hängeseilbrücke“ hat es nachrechnen lassen: „Die Brücke wird jährlich für etwa 50.000 zusätzliche Übernachtungen in der Region sorgen“, erklärt der Mörsdorfer Ortsbürgermeister Marcus Kirchhoff. Damit steige ihre Zahl um rund zwei Prozent. „Bei einem angenommenen Durchschnittspreis von 40 Euro pro Person und Nacht inklusive Frühstück resultiert daraus für die Beherbergungsbetriebe ein Umsatzpotenzial von rund zwei Millionen Euro.“ Dem gegenüber stehen eine Million Euro Gesamtkosten für das Projekt, 55 Prozent der Nettokosten erhält die lokale Aktionsgruppe Hunsrück als zusätzliches Geld zur Förderung des Brückenprojektes.

Aufgehängt an sechs Lastseilen
Die Hängeseilbrücke Mörsdorf-Sosberg wird als unversteifte Konstruktion nach dem Vorbild der sogenannten Nepalesischen Hängeseilbrücke errichtet. Sie wird an insgesamt sechs Lastseilen aufgehängt. Parallel zu den Lastseilen sind parabolisch abgespannte Windlastseile vorgesehen, an denen die Wind-Querseile zur Brücke befestigt werden. Dies ermöglicht es, dass Schwingungen der Gesamtkonstruktion abgedämpft werden. „Die Anordnung verleiht der Brücke die nötige Stabilität“, erläutert Ortsbürgermeister Kirchhoff. Verankert im Fels werden die Windlastseile mit flexiblen Ankersystemen.
Die tragende Konstruktion besteht aus zwei oberen Tragseilen, die gleichzeitig als Handlauf dienen und vier unteren Tragseilen. Die Stahlseile weisen jeweils einen Durchmesser von 40 mm auf.
Eine Konstruktion, die extrem Wind und Wetter ausgesetzt ist, muss widerstandsfähig sein. Daher werden sämtliche tragenden Stahlseile als vollverschlossene Stahlseile ausgeführt und erhalten eine Galvan-Verzinkung nach EN 1461 als Korrosionsschutz.

Sicherheit hat Priorität
Die Sicherheit der Fußgänger hat oberste Priorität bei den Planungen: Als Absturzsicherung werden parallel zum Laufsteg zwischen Ober- und Untertragseil je Seite vier horizontale Stahlseile von einem Durchmesser von zehn mm zwischen den Querrahmen montiert. Vor die Stahlseile wird ein Maschendrahtgitter von 1,20 Meter Höhe als flächige Absturzsicherung angebracht. Die oben liegenden Tragseile dienen als Handlauf. An beiden Enden der Brücke werden wiederum Pylone montiert. Sie sollen die Umlenkkräfte der Tragkabel zu den Fundamenten leiten.
Die Region Mörsdorf (Hunsrück) hat also richtig Lust auf dieses neue Verbindungswerk. Und sollte alles wie bisher planmäßig verlaufen, dürfte es ihr gelingen, einen Touristen-Magneten zu schaffen, der die Umsätze nach oben schnellen lässt. Dank Eigeninitiative und mit Hilfe von Förderungen werden in den nächsten Jahren wohl noch zahlreiche weitere Hängeseilbrücken gebaut. Damit winken der Draht-, Kabel- und Seilwirtschaft lukrative Einnahmen.

Beifall für die Branche
Umsätze winken der Branche auch bei den Brücken für Pkw- und Lkw-Verkehr, denn der Neubau- und Sanierungsbedarf in den kommenden Jahren ist groß. Die Anbieter von Draht, Kabeln und Seilen tragen mit ihren Produkten dazu bei, den Frust der Autofahrer zu lindern. Keine Frage, die Branche fährt bei Brücken auf einer grünen Welle – und erhält dafür auch Beifall.

Zu sehen sind neueste Techniken und aktuelle Technologien aus der Draht- und Kabelbranche auf dem Branchen-Event No 1, der wire Düsseldorf, die vom 4. bis 8. April 2016 auf dem Düsseldorfer Messegelände stattfindet.

Presse Kontakt wire 2016:
Petra Hartmann-Bresgen M.A.
Tel.: +49 (0)211/4560-541
Fax: +49 (0)211/4560-87 541
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Ein Beispiel für eine Hängeseilbrücke von 260 Metern im Tessin. Foto: Marcus Kirchhoff