Ohne Draht steht die Welt still. Auf Speichen erobern Radfahrer ihre Umgebung, Oberleitungen und Erdkabel versorgen die Unternehmen und Haushalte mit elektrischem Strom, und auch der Stahlbeton benötigt zur Stabilisierung Draht. Die Verlässlichkeit von Werkstoffen und deren Verarbeitung genießen daher für Hersteller und Abnehmer von Draht eine hohe Priorität. Nur wer sich den Herausforderungen stellt, kann auf dem Markt bestehen.
Die Finanzkrise zum Ende der Nullerjahre traf auch die Drahtbranche mit voller Wucht – ein Drahtseilakt in schwierigen Zeiten für manches Unternehmen. Doch der konjunkturelle Aufwärtstrend belebte das Geschäft. Die Produktion läuft wieder auf Hochtouren.
Rosige Prognosen
Zum Beispiel bei der Leoni AG, einem weltweit agierenden Hersteller von Drähten, optischen Fasern, Kabeln und Kabelsystemen. Das Nürnberger Unternehmen, das weltweit mit etwa 90 Standorten in 34 Ländern vertreten ist, geht für 2011 von einem Konzernumsatz von geschätzten 3,4 Milliarden Euro und einem Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) von rund 210 Millionen Euro aus. Damit korrigierte Leoni die erste Prognose, die auch erfreulich ausgefallen war, nochmals nach oben.
Wettbewerb durch Asien
Der gesamten Drahtbranche ergeht es ähnlich. Ihr Wohl und Wehe hängt aber vor allem von der Entwicklung der Automobil- und Maschinenbaubranche ab – sie ist der Hauptabnehmer von Drahtprodukten. Hinzu kommt der Wettbewerb aus Asien. „Stahlproduzenten aus China und anderen fernöstlichen Ländern beeinflussen die Zyklen bei europäischen Herstellern zunehmend“, analysieren die Deutschen Edelstahlwerke, ein Produzent von Draht und Stabstahl.
Um die Zukunft braucht sich die Branche grundsätzlich keine Sorgen zu machen. „Da Draht weltweit gebraucht wird, sehen die Deutschen Edelstahlwerke die Zukunft des Produkts positiv.“
Krisenherde im Blick
Allerdings beobachtet die Branche die Entwicklungen in Nordafrika mit Argusaugen. Leoni beispielsweise verfügt in Ägypten, Marokko und Tunesien über mehr als 25.000 Mitarbeiter. Die Unruhen hatten bisher allerdings auf die Leoni AG keinen gravierenden Einfluss, es gab nur kleinere Beeinträchtigungen in der Produktion. Grund zu einem Kurswechsel in Nordafrika sieht das Unternehmen deshalb noch nicht. Genauestens im Blick hat Leoni außerdem die Entwicklung in Japan: Zwar sei das Unternehmen kein Abnehmer von japanischen Halbleitern, allerdings sei nicht auszuschließen, dass es durch die internationale Vernetzung zu Versorgungsproblemen und damit Beeinträchtigungen der Produktion kommen könne.
Tradition und neue Trends
Bereits im 15. Jahrhundert löste das Drahtziehen das Schmieden des Drahtes ab. Das Ziehen war und ist also seit langem die klar dominierende Herstellungstechnik. Was aber natürlich keine Stagnation bei der Fertigung bedeutet. Das beweisen zahlreiche Trends. Um die Gunst der Stunde zu nutzen und Erfolge einzufahren, benötigen Drahthersteller moderne Technologien. Einen guten Draht zu Herstellern besitzt beispielsweise SMS Meer. Die ArcelorMittal Hamburg GmbH betraute den Anlagen- und Maschinenhersteller mit der Modernisierung ihrer Drahtstraße. SMS Meer stellt sie auf zwei einadrige Walzlinien um. Dafür werden die vorhandenen Schlingentische umgesetzt und pro Ader zwei neue Gerüste eingesetzt. Hierbei, so SMS Meer, handele es sich um Gerüste einer neuen Generation, „die noch höhere Walzkräfte und Walzmomente aufnehmen.“ Die Produktqualität will ArcelorMittal durch die Investition weiter erhöhen.
Immer schnelleres Ziehen
Eine aktuelle Entwicklung geht zu einem immer schnelleren Ziehen bei gleichbleibender Qualität mit engen Toleranzen. Das zeigt auch das Beispiel von Schwering & Hasse. Der Hersteller von lackisolierten Kupferdrähten für z.B. Elektromotoren und elektronische Bauteile investierte in einen neuen Drahtzug, um mit ihm Blankdrähte nach dem neuesten Stand der Technik zu fertigen. Hierfür baut es eine neue Halle von rund 5.000 Quadratmetern, in der neben neuen zweizügigen Grobwalzdrahtmaschinen, Mittelzug- und Conformanlagen installiert werden. Die Investition, so Schwering & Hasse, optimiere die Energieeffizienz und mindere Lärmemissionen. „Qualitativ werden sich entlang der Wertschöpfungskette die Parameter verbessern, das heißt geringere Schrottquote, hohe Konstanz in Weichheit der Drähte und damit Sicherstellung der späteren Verarbeitbarkeit des produzierten Kupferlackdrahtes.“
Um effizient produzieren zu können, optimieren auch die Deutschen Edelstahlwerke kontinuierlich die Prozessrouten. Als Basis dient dem Unternehmen das selbst entwickelte Deutsche Edelstahlwerke Produktionssystem (DPS). Mit Hilfe des Handlungsrahmens sollen die Prozesse verschwendungsarm und effizienter gestaltet werden. Zu den Prinzipien gehören Selektieren, Strukturieren, Säubern, Standardisieren und Selbstdisziplin. Für den Hagener Standort werden eigens Rüstworkshops angeboten.
Hohe Ansprüche an Werkstoffe
Für Draht werden zahlreiche Werkstoffe wie Eisen, Aluminium, Kupfer, Gold, Zinn und Platin verwendet. Und an die werden zunehmend höhere Ansprüche gestellt. „Die für Draht verwendeten Werkstoffe müssen den steigenden Anforderungen der Kunden und den sich entwickelnden Anwendungsfeldern angepasst werden“, erklären die Deutschen Edelstahlwerke. Das betreffe insbesondere die Anforderungen an den Reinheitsgrad, die Gefügebeschaffenheit und die Prüfmöglichkeiten.
Leichtbauweise fordert Hersteller
Immer wichtiger werden höherfeste Stähle für den Leichtbau. „Die Gewichtseinsparung zur Verbrauchs- und Emissionsreduzierung ist ein Megatrend“, erläutert Dr. Gerhard Bartz, zugleich Präsident des Verbandes des Draht- und Kabelmaschinenhersteller e.V. und Exekutiv-Mitglied der Dachverbandes International Wire And Cable Exhibitions Association. Das gelte insbesondere für die Automobilindustrie, die rund 60 Prozent des deutschen Drahtgeschäftes ausmacht. Ein Beispiel: Weil Gewicht einzusparen ist, werden dünnere Ventile gefertigt, was sich wiederum auf die Vormaterialbestellung auswirkt. Und: Im Automobilbau gebe es, so Bartz, einen „Trend zur Mischbauweise“ – mit Aluminium, Stahllegierungen, Carbon und Textil. Grundsätzlich gewinnen Ersatzwerkstoffe wie etwa Kunststoff und Textilien an Bedeutung im so wichtigen Automotive-Bereich. Auch die Verwendung veredelter Drähte wie Nirosta nimmt zu – insbesondere bei Fahrzeugen und in der Medizintechnik.
Komplexere Fertigung
Die höheren Ansprüche der Abnehmer an die Drahtproduzenten bringen auch die Hersteller von Maschinen für die Drahtfertigung in Zugzwang. „Die Kunden fordern höhere Leistungsfähigkeit von den heutigen Maschinen“, weiß Andreas Hoster von der Abteilung Vertrieb und Marketing bei Wafios. Das mache komplexere und schwierigere Teilegeometrien notwendig. Einerseits würden Einzweckmaschinen für die Großserienfertigung gefordert, andererseits auch flexible Multifunktionsmaschinen für Klein- und Kleinstserien.
Hoher Automatisierungsgrad
Eine Drahtherstellung ohne Automatisierung ist heute undenkbar, manuelle Tätigkeiten sind selten. Ob in der modernen Walzstraße, in den Blankbetrieben oder in der Drahtadjustage der jüngsten Generation – vieles geschieht auf Knopfdruck, vollautomatisch und wird von einem Steuerstand aus überwacht. Für die Deutschen Edelstahlwerke ist die Produktion daher „kein Handwerk mehr im wörtlichen Sinne, sondern Hightech.“Die Automation als lukrativen Markt erkannt hat beispielsweise SMS Meer. Neben Drahtwalzwerken liefert das Unternehmen auch Prozesskontrollsysteme. Eine erfolgreiche Kombination. „Ist der Lieferant für den mechanischen Teil auch an der Prozesskontrolle beteiligt, hat dies offensichtliche Vorteile“, resümiert SMS Meer. Die enge Verbindung zwischen dem Konstrukteur auf der mechanischen Seite und dem der Automatisierung gewährleistet einen glatten und nahtlosen Ablauf.
Keine Kompromisse bei der Qualitätskontrolle
Wer hohe Qualität verlangt, benötigt eine entsprechende Überwachung des Produktionsablaufes. Schwering & Hasse stellte daher seine Produktionssysteme so um, dass in dem nun rund um die Uhr laufenden Herstellungsprozess eine noch genauere Qualitätskontrolle möglich ist. Bisher wurde die Herstellung des Drahtes in 100-Meter-Abschnitten überwacht. „Mit neuen Maschinen und Sensoren sind kontinuierliche Kontrolle und Dokumentation während der Herstellung des Drahtes nun bis auf einen Zentimeter genau möglich.“
Die Folge einer detaillierten Beobachtung ist allerdings auch, dass die Datenmenge deutlich zunimmt. Im Falle von Schwering & Hasse sammelte das neue System 60.000 Meldungen pro Sekunde. Mit einer speziellen Software wird aber der Datenwust sinnvoll analysiert und anschließend angezeigt. Die Software erkennt sofort Fehlermuster oder Abweichungen von Soll-Zuständen, „so dass das Bedienpersonal ohne Verzögerung reagieren kann“, erklärt das Unternehmen. Die Vorteile: Die Qualität der Produkte kann erhöht und die Kosten durch Ausschuss verringert werden. Aber die Entwicklung geht weiter. In einer nächsten Ausbaustufe sollen die Fehlermeldungen zu automatischen Reaktionen der Produktionsanlagen führen. „Die Anforderungen an die Qualitätssicherung steigen. Und wer sich mit technischen Produkten in neuen Märkten positionieren will, darf hier keine Kompromisse eingehen“, so Schwering & Hasse.
Maschinenpark aufgerüstet
Auf die gestiegene Bedeutung von Prozessrückverfolgbarkeit und Prozesssicherheit haben auch die Deutschen Edelstahlwerke reagiert, indem deutlich in die entsprechende Technik investiert wurde. So erwarb das Unternehmen in den vergangenen Jahren zum Beispiel eine Ultraschallprüfanlage und eine neue Drahtadjustage, um die Sicherheit, Ergonomie und Produktivität zu erhöhen. Außerdem gehört mittlerweile auch eine vollautomatische Schälmaschine für Ringe, Stäbe und konisches Material zum Maschinenpark.
Neue Marktperspektiven
Nicht nur die Anlagen zur Herstellung von Draht und die Anforderungen an ihn sind ständig im Wandel. Auch tun sich neue Märkte auf. Potenzial für Drahtprodukte sehen nicht nur die Deutschen Edelstahlwerke in der Energietechnik, „die aufgrund der derzeitigen Energiepolitik rasant weiterentwickelt wird.“ Das erkannte auch die Metallux AG. Die Metallux-Leistungswiderstände in Drahttechnologie sorgen dafür, dass Windkraftanlagen nicht die Puste ausgeht.
Eine Erfolgsgeschichte
Geografisch gesehen hat die Drahtindustrie auch die wirtschaftlich aufstrebenden Staaten wie China, Brasilien und Indien im Fokus. Gleiches gilt für die arabischen Länder. Darauf haben beispielsweise die Gustav Wolf Seil- und Drahtwerke reagiert: Sie investierten in eine neue, 2050 Quadratmeter große Produktionshalle in Dubai. Bestückt wird sie mit drei Nassziehmaschinen für die Drahtherstellung, zwei Doppelschlagmaschinen zur Litzen- und eine Schlagmaschine zur Seilherstellung sowie eine Wickel- und eine Abteilmaschine für die Konfektionierung.
Seit 2004 besitzt das Unternehmen eine Niederlassung in Dubai. Der Standort, so Gustav Wolf, habe eine Erfolgsgeschichte geschrieben. „Rund 50 Prozent der Produktion fließen in den lokalen arabischen Markt.“ Das Unternehmen lobt dort auch niedrige Strompreise und günstige Arbeitslöhne. Letztlich – so Gustav Wolf – würden mit dem erfolgreichen Standort Dubai auch die Arbeitsplätze in Deutschland gesichert.
Nischenprodukte im Fokus
Keine Frage, die europäische Drahtindustrie muss sich – wie dies auch Unternehmen anderer Kontinente tun müssen – dem Wettbewerb mit den so genannten Schwellenländern erwehren. Am besten, indem nicht auf Massenprodukte gesetzt wird. Darauf verzichten zum Beispiel die Deutschen Edelstahlwerke: „Durch zunehmende Spezialisierung auf Nischenprodukte gelingt es, sich von Mitbewerbern abzusetzen.“ Eine Strategie, die für Unternehmen im umkämpften Drahtmarkt wirtschaftlich überlebenswichtig sein kann und positive ökonomische Aussichten begünstigt.