Glas und Papier werden in Deutschland schon lange recycelt. Doch um Metalle wie Eisen, Kupfer, Aluminium, Gold oder Platin kümmerte sich bislang kaum jemand. Das soll sich ändern: Unter dem Stichwort Urban Mining begreifen immer mehr Unternehmen und Initiativen die Stadt als ‚Mine’, aus der wieder Rohstoffe abgebaut werden können. Die Materialien, so die neue Sichtweise, werden in Gebäuden, Industrieanlagen, Handys oder Computern nur zeitweise verwendet und können nach Gebrauchsende für andere Produkte genutzt werden.
Die meisten gesammelten Mobiltelefone werden als „Reuse”-Geräte in Entwicklungs- und Schwellenländer exportiert. Doch der größte Teil der Geräte und landet in der Schublade oder im Mülleimer. (Foto: Umicore AG & Co. KG)
„Urban Mining ist mehr als nur Recycling. Es beschreibt ein innovatives Konzept, das den Kreislauf der Rohstoffe so intelligent wie möglich gestaltet”, erklärt Jörg Sommer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung. Das beginne bereits beim Design, das eine spätere Rückgewinnung der Rohstoffe so effizient wie möglich plane, daneben spielen Einsparung und Vermeidung eine große Rolle. Berechnungen des deutschen Naturschutzbundes zeigen, dass Rückgewinnung seit 1990 den CO2-Ausstoß um 46 Millionen Tonnen reduziert hat – auch für die Umwelt ist die Nutzung von Sekundärrohstoffen also ein Gewinn.
Besonders große Aufmerksamkeit findet derzeit der Rückbau von Deponien. Der größte Teil der sogenannten anthropogenen Ressourcen, also das von Menschen hergestellte Rohstofflager, steckt in Siedlungen, Infrastruktur und anderen langlebigen Gütern wie etwa Elektrogeräten. Ein Anteil von etwa zehn bis zwanzig Prozent liegt nach Angaben des Vereins Urban Mining allerdings auf Müllhalden – und davon soll angesichts steigender Abfallmengen möglichst viel erfasst und dann rezykliert werden.
So erforschen Wissenschaftler der Universität Gießen, ob und ab wann sich das Öffnen eines Müllbergs lohnen könnte. Vor allem die Abfälle aus den Sechziger und Siebziger Jahren, als die Wegwerfgesellschaft auf ihrem Höhepunkt und Kreislaufwirtschaft noch ein Fremdwort war, seien interessant, sagt Professor Stefan Gäth. Die Proben werden derzeit auf ihre Inhaltsstoffe untersucht: Wenn die Preise für die immer knapper werdenden Rohstoffe weiter ansteigen, rentiert sich das Umgraben von alten Deponien schon bald. Aus dem Zusammenwachsen von Ökologie und Ökonomie könnten mittelfristig gewaltige neue Märkte entstehen.
Auch die Politik hat die Bedeutung des Materialteillagers, in dem die Menschen vor allem in den Großstädten leben, mittlerweile erkannt. Doch das neue Abfall- und Recyclinggesetz, mit dem der Weg für die bundesweite Einführung einer Wertstofftonne bereitet werden sollte, ist noch immer nicht beschlossen. Die Weiterverwertung des Mülls ist ein Milliardenmarkt, bei dem Kommunen und private Entsorger schon seit langem um die Zugriffsrechte streiten.
Derzeit landet der Großteil des Mülls in einer der siebzig meist kommunalen Verbrennungsanlagen. „Angesichts des weltweit steigenden Ressourcenverbrauchs ist es in Zukunft unumgänglich, die in den Abfällen enthaltenen Rohstoffe wieder in den Wirtschaftskreislauf zu integrieren und gleichzeitig die Ressourceneffizienz zu erhöhen”, weiß Bundesumweltminister Norbert Röttgen. Bisher hat der Hausmüll eine Recyclingquote von 64 Prozent. Noch kaum recycelt werden bislang die seltenen oder kritischen Metalle, die vor allem in der Umwelttechnik und in High-Tech-Produkten verwendet werden. Wissenschaftler suchen deshalb nach Wegen, sie aus Smartphones, Windturbinen, Energiesparlampen, Leuchtdioden, Hybridautos und Katalysatoren wiederzugewinnen.
Leiterplatten sind komplexe Komponenten als Teil von komplexen Bauteilen. Doch lassen sich daraus nach sortieren, zerlegen und aufbereiten wieder Edel- und Sondermetalle gewinnen. (Foto: Umicore AG & Co. KG)
Bei vielen Produkten ist die Rohstoffgewinnung auch wegen der Komplexität so schwierig. Christian Hagelüken von der Materialtechnologie-Gruppe Umicore, zu deren Aktivitäten Recycling gehört, erklärt: Während Glas nur aus einem Material bestehe, enthielten Mobiltelefone und andere elektronische Geräte oftmals „das halbe Periodensystem”. Außerdem fehle oft der finanzielle Anreiz für die technisch komplizierte Herauslösung der Stoffe: in der Summe kommt ein Handy nur auf einen Metallwert von 1,20 Euro, hat Hagelüken ausgerechnet.
Doch obwohl in den einzelnen Geräten nur Kleinstmengen enthalten sind, ergeben sich über die Masse signifikante Gesamtmengen. In allen bislang verkauften rund zehn Milliarden Mobiltelefonen finden sich etwa 2500 Tonnen Silber, 240 Tonnen Gold, 90 Tonnen Palladium – ein Edelmetallwert von rund 12 Milliarden Euro. Ausgebaute PC-Leiterplatten haben bereits einen positiven Nettowert, das Recycling lohnt sich also. 17 verschiedene Metalle kann Umicore daraus zurückgewinnen, darunter 200 Gramm Gold pro Tonne – im Bergbau finden sich nur 5 Gramm Gold pro Tonne Erz. Und Zukunftstechnologien wie Elektrofahrzeuge, Brennstoffzellen, LEDs oder Photovoltaik werden den Bedarf an den wertvollen Rohstoffen noch steigern – und damit den Preis. Nach der Einführung der LCD-Bildschirme stieg der Preis für Indium um den Faktor 10.
Für die Gewinnung der Rohstoffe vor Ort spricht auch, dass oftmals nur wenige Länder über wirtschaftlich abbaubare Rohstoffvorräte verfügen. Die Gruppe der Seltenen Erden beispielsweise stammt zu bis zu 95 Prozent aus China, das durch Protektionismus den Ausfuhr von Rohstoffen verhindert. Manche Stoffe werden nur von wenigen Unternehmen angeboten, die die Preise gezielt nach oben treiben können. Zwei Drittel des frei gehandelten Eisenerzes etwa stammt aus den Minen dreier Anbieter. Manchmal – wie im Kongo, wo Tantal für Kondensatoren von Mobiltelefonen gewonnen wird – sind die Abbauländer instabil und Investitionen unsicher.
Kein Wunder also, wenn sich immer mehr Unternehmen auf das versteckte Rohstofflager zuhause besinnen. Aus Klärschlamm etwa kann Phosphor gewonnen werden, das in der Landwirtschaft als Bestandteil von Düngemitteln unverzichtbar ist, mittlerweile aber knapp wird. Der Mensch scheidet den Phosphor mit dem Urin aus – es kann deswegen durch Kristallisation aus dem Abwasser herausgezogen werden. Eine Pilotanlage hat bereits bewiesen, dass so 40 bis 50 Prozent des Phosphats im Abwasser gebunden wird und Dünger für die Landwirtschaft entsteht. Der Klärschlamm kann danach immer noch verbrannt werden – er hat einen fast so hohen Energiewert wie Braunkohle.
www.urban-mining.com
www.umicore.de
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