Auch die Steel/Tube-Produkte von Benteler machen sich die veränderte Metallurgie der Direktreduktion zunutze. Dem Unternehmen ist es gelungen, Automatenstahl im Elektrolichtbogenofen herzustellen und daraus nahtlose Rohre zu produzieren. Als besondere Eigenschaft hat Benteler Smartcut® Automatenstahl einen besonders hohen Schwefelgehalt. Dies äußert sich in einer schnelleren, produktiveren Bearbeitung mit besserer Spanbildung und höherer Werkzeuglebensdauer.
„Mit verschiedenen Schwefelgehalten ab mindestens 0,10 % Schwefel – das etwa Drei- bis Fünffache der bei Zerspanungsrohren üblichen 0,015 bis 0,035 % – weisen Benteler Smartcut®-Rohre eine exzellente Zerspanbarkeit auf. So lassen sich die Rohre besser und günstiger weiterverarbeiten. Zudem sind Materialeinsparungen von mehr als 50 % gegenüber Stabstahl keine Seltenheit“, berichtet Helwig Brabander, Leiter Engineering Hydraulik / Präzistechnik.
Smarter Einfluss: künstliche Intelligenz und 3D-Druck in der grünen Transformation
Die Sicherung und Überwachung der Stahlqualität erfolgt zunehmend mit Unterstützung von künstlicher Intelligenz (KI). Der sogenannte „digitale Schatten“ umfasst die passiv erzeugten Daten, die durch die Interaktion mit digitalen Systemen entstehen. Mithilfe dieser Datensätze können Prozesse wie Walzen, Abkühlen und Wärmebehandlung überwacht werden, beispielsweise dahingehend, ob Soll- und Ist-Zustand von Temperaturen und Kräften voneinander abweichen. Daraus entsteht ein Abbild der zu erwartenden Materialeigenschaften.
Die Verknüpfung der Daten erfolgt anhand von maschinellem Lernen und physik-informierten neuronalen Netzwerken (PINN), die aus einer Kombination von Daten und physikalischen Gesetzen lernen. Die von den PINNs erstellten Vorhersagen können dann an den Prozess zurückgesendet werden, um dessen Effizienz zu optimieren. Damit trägt KI zur Verbesserung der Anlageneffektivität bei, was wiederum zu einer Verringerung der CO2-Emissionen führt.
Vor allem aber können in der Sekundärmetallurgie Prozesse in Echtzeit an die ermittelten Werte angepasst werden und für eine gleichbleibend bestmögliche Qualität sorgen.
Neben der KI ist es der 3D-Druck, der eine Schlüsselrolle in der grünen Transformation der Metallurgie spielt. Dieser bietet großes Potenzial für die umweltfreundliche Gestaltung von Produktionsprozessen. In Verbindung mit Topologieoptimierung ermöglicht er die Herstellung komplexer Stahlkomponenten mit minimalem Materialabfall und die Fertigung leichterer und effizienterer Stahlstrukturen, die zu Energieeinsparungen in verschiedenen Anwendungen führen können. Dieser Ansatz ist relevant für spezialisierte Anwendungen, wie beispielsweise im Automobil- und Luftfahrtsektor, wo maßgeschneiderte und leistungsfähige Komponenten erforderlich sind.
Deutsche Edelstahlwerke entwickeln smarte Metallpulver für den 3D-Druck
In den Deutschen Edelstahlwerken werden Metall-Pulver entwickelt, die speziell für die additive Fertigung im 3D-Druck konzipiert sind. Diese ermöglichen die Herstellung von Stählen mit neuen Eigenschaftsprofilen.
Ein Beispiel ist der Werkstoff Printdur HSA (High Strength Austenite), ein korrosionsbeständiger Austenit mit doppelter Festigkeit, der rissfrei, porenfrei und defektfrei hergestellt wird. Eine weitere Neuentwicklung ist Printdur HCT, der eine hohe Härte, Korrosions- und Anlassbeständigkeit sowie verbesserte Verschleißbeständigkeit aufweist und frei von Nickel und Kobalt ist, was ihn im Sinne der Nachhaltigkeit besonders vorteilhaft macht.
Ein wesentlicher Vorteil des 3D-Drucks ist der hohe Individualisierungsgrad, der ihn für die Herstellung von Spezialwerkzeuge prädestiniert. Beispielsweise können im Spritzgussverfahren Kühlkanäle exakt nach Bedarf konstruiert werden, was durch herkömmliche Bohrverfahren nicht möglich wäre. In der Praxis wurde Printdur HCT zum Beispiel verwendet, um die Füße von Verschlusswerkzeugen herzustellen, wodurch deren Standzeit signifikant erhöht werden konnte.
Smarte Zukunft: Nanotechnologie
Die Selbstreparatur eines Risses in Stahl ist ein modernes Konzept in der Materialwissenschaft, das auf der Idee basiert, dass bestimmte Materialien unter spezifischen Bedingungen in der Lage sind, Schäden in ihrer Mikrostruktur selbstständig zu „heilen“. Diese Konzepte der Selbstreparatur in Stählen sind noch größtenteils im Forschungsstadium und nicht unbedingt in kommerziellen Anwendungen verbreitet. Sie haben aber das Potenzial, die Lebensdauer und Zuverlässigkeit von Stahlprodukten signifikant zu verbessern.
„Selbstreparaturen“ in Stählen könnten beispielsweise durch Phasenumwandlungen realisiert werden. Bei bestimmten Stählen kann ein Riss dazu führen, dass sich an der Rissspitze eine Phasenumwandlung ereignet. Diese Umwandlung führt zu einer Volumenänderung im Material, wodurch ein Druck auf den Riss ausgeübt wird, sodass sich dieser schließt oder zumindest in seinem Wachstum gehemmt wird.
Zudem könnten in Stahllegierungen bestimmte Metalle oder Verbindungen als „heilende“ Agentien eingebettet werden, die bei der Rissentwicklung aktiviert werden. In der Stahlmatrix könnte das durch Mikrokapseln erreicht werden, die bei Beschädigung entsprechende Substanzen freisetzen. Diese Agentien könnten dann in den Riss diffundieren und ihn auffüllen oder die Rissbildung durch lokale Reaktionen hemmen.
Eine weitere Methode sind eisenbasierte Formgedächtnislegierungen (engl. shape memory alloy, SMA), die selbst nach starker Verformung durch Wärmeeinwirkung wieder ihre ursprüngliche Gestalt annehmen, sich also an ihren Ausgangszustand „erinnern“. Für die Bauindustrie wurde die Formgedächtnislegierung memory®-steel entwickelt. Hier wird der Effekt genutzt, dass bei verhinderter Rückverformung eine Vorspannung entsteht. Beispielsweise lassen sich einbetonierte SMA-Stäbe durch Hitze „aktivieren“. Sie „wollen“ sich in ihre ursprüngliche Form zusammenziehen. Da sie aber einbetoniert sind, geht das nicht. So entsteht eine Vorspannung. Zur Anwendung kommen die Systeme bei der Nachverstärkung von Stahlbeton- und Stahlbauten sowie im Neubau.
Nanotechnologie und additive Fertigung werden die Stahlindustrie weiter verändern. Die Verfahren bieten potenzielle Durchbrüche bei den Materialeigenschaften und Produktionsverfahren. So ist es durch die Manipulation von Materialien auf atomarer Ebene möglich, Stähle mit noch nie dagewesener Festigkeit, Haltbarkeit und Flexibilität herzustellen. Diese Fortschritte könnten zu leichteren, effizienteren Konstruktionen und Fahrzeugen führen, was sich erheblich auf verschiedene Branchen auswirken würde.
Ausblick
„Smart Steel“ ist Ausdruck einer neuen Stahlindustrie, die durch Nachhaltigkeit, technologische Innovation und einen verstärkten Fokus auf Kreislaufwirtschaft gekennzeichnet ist. Die Integration von Materialwissenschaft, digitaler Überwachung und intelligenten Fertigungstechniken eröffnet Wege, die Effizienz zu steigern, Ressourcen zu schonen und die Umweltauswirkungen zu minimieren. Während die Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf die Qualitätssicherung und die Anpassung an neue metallurgische Prozesse, erheblich sind, bieten die aktuellen Entwicklungen einen optimistischen Ausblick auf die Zukunft. Die Forschung an verunreinigungstoleranten Stählen und die Anwendung von KI und 3D-Druck in der Produktion sind nur einige Beispiele dafür, wie die Stahlindustrie sich weiterentwickelt, um den Anforderungen einer nachhaltigeren Welt gerecht zu werden.