Kunststoffrohrproduktion der Zukunft: Einsatz von Rezyklaten für mehr Nachhaltigkeit
Kunststoffrohrproduktion der Zukunft: Einsatz von Rezyklaten für mehr Nachhaltigkeit
Rückgabesystem für Kanalrohre
Am 18. Juni hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) mit seinem Entwurf zur „NationalenKreislaufwirtschaftsstrategie“ (NKWS) Leitplanken und Kriterien für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft veröffentlicht. Im Vorfeld hatten Vertreter aus Wirtschaft, Gewerkschaften, Verbänden, Wissenschaft und Verwaltung in einem gemeinsamen Dialogprozess mit der Bundesregierung die Möglichkeit, diesen als Stakeholder mit eigenen Ideen und Anregungen mitzugestalten. Beteiligt waren auch Vertreter der Kunststoffrohrbranche, die sich bereits seit längerem für eine nachhaltigere Gestaltung der Wertschöpfungskette engagiert.
In einem mehrstufigen Recycling-Prozess werden die Wertstoffe zu Mahlgut aufbereitet, das bei der Herstellung neuer Kunststoffrohre zum Einsatz kommt
1. „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“: Grundlagen und Ziele
Allgemeine Grundlagen und Ziele Die „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“ der Bundesregierung orientiert sich an den Richtlinien der „Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie“ und international an der „UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ aus 2015, die eine Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschaft verfolgen. Auf EU-Ebene folgt die NKWS damit dem „Aktionsplanfür die Kreislaufwirtschaft“ und dessen Leitbild der „Circular Economy“. Angestrebt wird eine zirkuläre Wirtschaft, deren zentrales Ziel es ist, über den sparsamen Einsatz von Ressourcen den Verbrauch von Primärrohstoffen zu senken und Stoffkreisläufe auf diese Weise so weit wie möglich zu schließen.
Unter Berücksichtigung der o. g. politischen Rahmenbedingungen wurde für den Entwurf der NKWS gemeinsam mit Stakeholdern ein „Fahrplan: Ziele – Indikatoren – Maßnahmen“ erarbeitet. Dazu gehören unter anderem die Entwicklung „zielorientierter Maßnahmen“ für „zentrale Stoffströme“ (wie Kunststoffe, Metalle etc.) oder die „nachhaltige Gestaltung“ von Produkten aus Sekundärrohstoffen.
Die NKWS benennt Industrie und Mittelstand als Hauptakteure der Kreislaufwirtschaft und versteht sie im Hinblick auf einen grünen deutschen Leitmarkt für zirkuläre Wirtschaft als „Innovationstreiber“.
Mit der Veröffentlichung des Entwurfs am 18. Juni wird den Interessenvertretern im Nachgang die Möglichkeit zur schriftlichen Stellungnahme bis zum 9. Juli eingeräumt, wobei Rückmeldungen zu den quantitativen Zielen einzelner Stoffströme sowie spezifischen Maßnahmen und Instrumenten (speziell Rezyklat-Quoten oder ökonomische Anreizinstrumente) für das BMUV von besonderem Interesse sind.
Stoffkreislauf in der Kunststoffrohrindustrie vom Rohstoffhersteller bis zum Endanwender
Zahlen und Fakten: Rezyklat-Quoten Kunststoffrohrproduktion Deutschland Für die im Auftrag des Kunststoffrohrverbands e.V. (KRV) angefertigte CONVERSIO-Studie „Stoffstrombild Kunststoffrohre in Deutschland 2021“ wurden für das Analysejahr unter anderem Recycling-Quoten für folgende Bereiche ermittelt:
Kunststoffrohr-Verarbeitungsmenge insgesamt und eingesetzte Rohstoffe Insgesamt wurden 973.000 t Kunststoffrohre hergestellt. Bei der Verarbeitung kamen 853.000 t (etwas 87,8 %) Kunststoffe aus Neuware, etwa 57.000 t Post-Consumer-Rezyklate (also aus Materialien, die aus bereits verwendeten Produkten recycelt wurden) und circa 15.000 t Pre-Consumer-Rezyklate (Materialien, die noch während des Produktionsprozesses entsorgt werden) sowie rund 48.000 t aus wiedereingesetzten Nebenprodukten zum Einsatz. Das Zwischenfazit der Studie lautet an dieser Stelle: „Im Vergleich zur Post-Consumer Rezyklat-Einsatzquote von Kunststoffen im gesamten Baubereich (~15 %), liegt die Quote bei Kunststoffrohren mit ~5,9 % auf niedrigerem Niveau.“
Eingesetzte Menge an Rezyklaten aus Post-Consumer-Rohren in Neurohren Insgesamt wurden in Deutschland im Jahr 2021 rund 27.000 t Post-Consumer-Rezyklate in verschiedenen Kunststoffanwendungen eingesetzt. Davon flossen 89 % zurück in die Produktion verschiedener Bauanwendungen (Kunststoffrohre, Kabelabdeckungen etc.). 20.000 t – und somit der größte Anteil an Rezyklaten aus Rohrabfällen – kam erneut bei der Herstellung von Kunststoffrohren zum Einsatz. Auch hier zieht die Studie eine Zwischenbilanz: „Somit lässt sich festhalten, dass bereits in 2021 ca. 74 % der Kunststoffrohr-Rezyklate in neuen Kunststoffrohren verwendet wurde. Ein ‚Closed loop‘ von Kunststoffrohren ist demnach durchaus umsetzbar. Die Herausforderung liegt in dessen Skalierung.“
„The Circular Economy for Plastics“-Report 2024 liefert weitere, vergleichende Informationen zu Stoffströmen und Rezyklat-Quoten in Deutschland sowie Europa.
Die Verwendung von Rezyklaten aus Polypropylen (PP) kann die CO2-Emissionen reduzieren
2. Kunststoffrohrindustrie als „Innovationstreiber“
Nachhaltigkeit als Kernthema der Branche Die Wertschöpfungskette – im ökologischen wie auch ökonomischen Sinn – nachhaltiger zu gestalten, ist bereits seit geraumer Zeit ein zentrales Thema der energieintensiven Kunststoffrohrindustrie. In der Branche, die einen hohen Verbrauch an Primärrohstoffen aufweist, sind zunehmend Bestrebungen zu beobachten, die Entwicklung neuer Technologien und die Schaffung funktionierender Stoffkreisläufe voranzutreiben.
Zahlreiche an die Politik gerichtete Anregungen und Handlungsempfehlungen von Branchenverbänden und -akteuren sind in den aktuellen Entwurf der NKWS eingeflossen.
So plädierte beispielsweise der Kunststoffrohrverband e.V. (KRV) in seiner „KRV-Empfehlung an die Politik“ (Veröffentlichung „Impulse“, S.16) bereits im Jahr 2023 unter anderem dafür, die „Förderung geschlossener Stoffkreisläufe sowie die Einrichtung grüner Leitmärkte im Bereich der öffentlichen Beschaffung“ in der Novelle des NKWS sicherzustellen.
Best Practice Das Unternehmen Rehau Building Solutions mit Hauptsitz in Erlangen hat ein Kunststoff-Abwassersystem entwickelt, mit dem es laut CEO Dr. Roger Schönborn den Tiefbau nachhaltiger gestalten möchte.
Beim Kunststoffabwassersystem nevoPP“ von Rehau stammen bis zu 80 % des PP aus Industrierezyklaten
Das „nevoPP“ ist zu 100 % klimaneutral: Bis zu 80 % desPolypropylens (PP) stammen ausindustriellen Rezyklaten – wie Produktionsresten für Bau- und Verpackungsanwendungen. Im Herstellungsprozess der Kanalrohre und Schächte wird nur Strom aus erneuerbaren Energien eingesetzt.Laut Rehau sind „die Verbrauchs- und CO2-Ziele des Produktionswerks nach Energiemanagementsystem ISO 50001 und Umweltmanagementsystem ISO 14001 zu 100 % transparent“.
Mit der von GF bereitgestellten Extrusionsanlage lassen sich unterschiedliche Materialien zu drei- bis vier- lagigen Rohre verbinden, die z. B. in der Innenschicht aus Rezyklat oder Mahlgut bestehen
Bei der Verlegung auf einer 50 km langen Strecke mit nevoPP soll im Vergleich zu einem aus Neumaterial bestehenden Abwassersystem eine Einsparung von rund 320 t CO2 möglich sein, was bei der Verlegung von jährlich 12.000 Kanalkilometern mit einer erheblichen Emissionsminderung zu Buche schlägt. Zudem soll die Lebensdauer laut Herstellerangaben mindestens 100 Jahre betragen. „Diese und weitere Maßnahmen, wie die Nutzung von 100 % Ökostrom in unseren europäischen Werken, zeigen unser Engagement für den Umweltschutz und die Förderung einer zirkulären Wirtschaft“, so CEO Schönborn zur Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens. „Wir sind bestrebt, Qualität und Nachhaltigkeit zu vereinen, um die Lebensqualität zu verbessern und zukünftige Generationen zu schützen. Unabhängige Bewertungen und die Ergebnisse unserer Nachhaltigkeitsinitiativen werden regelmäßig überprüft, um Transparenz und Vertrauen in unsere Maßnahmen zu stärken.“
„Die Arbeit mit Kunststoffen sehen wir als Sinnbild für eine sehr formbare Zukunft“, so Otto Skrabala, Head of Technology Center bei GF Piping Systems (Anbieter von Kunststoffrohrsystemen) bei der Übergabe einer Extrusionsanlage an die Kunststofftechnik Paderborn (KTP) Ende Mai 2024. Die an der Uni Paderborn gemeinsam betriebene Anlage dient der vertiefenden Kooperation auf den Gebieten Recycling sowie innovativen Extrusionsverfahren bei Kunststoffen und ermöglicht die Herstellung von Rohren, welche z. B. in der Innenschicht aus Rezyklat oder Mahlgut bestehen. Untersuchungen zur Prozessoptimierung und zur möglichst schonenden Produktion von Rohrleitungssystemen stehen dabei im Zentrum der Zusammenarbeit. Laut Uwe Grebe, Geschäftsführer von GF Deka, handelt es sich bei der Extrusionsanlage „um eine Technikums-Linie zur Herstellung von drei- oder vierlagigen Rohren“. „Verschiedene Materialströme werden in einem Wendelverteiler zusammengelegt. Sie eignet sich damit besonders für die Erprobung neuer innovativer Werkstoffe und weiterentwickelter Extrusionsverfahren. Die Maschine ist so konzipiert, dass sie große Freiheiten bei der Kombination unterschiedlicher Materialien mit veränderlichen Schichtdicken ermöglicht.“
CRB-Test: Bruchfläche eines Probekörpers
3. Lebenszyklus von Rezyklaten: Neue Testmethode beschleunigt Prüfverfahren
Die bislang gängigen Methoden zur Prüfung der Langzeiteigenschaften von Kunststoffrohren haben sich als langwierig erwiesen und gelten für Produkte aus Rezyklaten zudem als ungeeignet.
Cracked-Round Bar Test (CBR) als neuer internationaler Standard Das Würzburger Kunststoff-Zentrum SKZ, eines der führenden akkreditierten Prüflabore in Europa, hatte bereits vor einigen Monaten ein neuartiges Prüfverfahren in sein Dienstleistungsportfolio aufgenommen, das langsames Risswachstum bei PE-Rohren untersuchen soll. Laut Mitteilung vom SKZ vom 26. Juni hat der Cracked-Round Bar Test das Begutachtungsverfahren durch die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) erfolgreich durchlaufen.
Mittels des CBR nach ISO 18489, der bereits am österreichischen Polymer Competence Center Leoben(PPCL) entwickelt wurde und laut diesem „mittlerweile ein international genutzter Standard zur Beurteilung des Risswachstumswiderstandes von Rohrwerkstoffen ist“, könne letztlich „eine präzise Vorhersage von bruchmechanischen Lebenszeiten“ getroffen werden. Dabei sei „die Beurteilung der Effekte von zugemischten oder vollständigen Recyclingmaterialien auf das Langzeitversagensverhalten von Rohren für drucklose Anwendungen“ von besonderem Interesse.
Sehr kurze Testdauer in einem herausfordernden Prüfsegment Nach Angaben des SKZ gehört langsames Risswachstum (Slow Crack Growth, SCG) zu den größten Herausforderungen beim Einsatz von Polyethylen-Rohren für innendruckbelastete Anwendungen. Zu diesen zählen beispielsweise Gas- und Wasserversorgungssysteme oder industrielle Rohrleitungen. „Die Dauerhaftigkeit und Zuverlässigkeit dieser Rohre hängt maßgeblich von ihrem Widerstand gegen SCG ab. Je höher das langsame Risswachstum ist, desto länger können die Rohre den normalen Belastungen im Außeneinsatz standhalten, was zu erheblichen Kosteneinsparungen und einer verlängerten Nutzungsdauer führt. Dadurch können Ressourcen geschont und ein wertvoller Beitrag in puncto Nachhaltigkeit geleistet werden.“
Aus einer ganzen Reihe von Vorteilen des Cracked-Round Bar Tests tritt die enorme Zeitersparnis der Methode besonders hervor: „Im Vergleich zu anderen Prüfverfahren wie dem FNCT (Full Notch Creep Test) oder NPT (Notched Pipe Test), die mehrere tausend Stunden dauern können, liefert der CRB in vergleichsweise kurzer Zeit Ergebnisse“, so das SKZ. „Ein Bruch tritt in der Regel innerhalb von 24 bis 48 Stunden auf, was die Testdauer erheblich verkürzt.“
Moderne, schnellere Testverfahren wie der CBR-Test scheinen gute Ausgangsbedingungen zu bieten, um den sich verändernden Stoffströmen in der Kunststoffrohrbranche Rechnung zu tragen. Die Recycling-Quote – insbesondere im Pre-Consumer-Segment – zügig zu erhöhen und künftig Stoffkreisläufe komplett zu schließen, wäre wünschenswert. Mit der „Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie“ der Bundesregierung sind in Deutschland die Weichen dafür gestellt.