Der Fachkräftemangel ist allgegenwärtig und wird die Branche in den nächsten Jahren vor ungeahnte Herausforderungen stellen. Grund genug, einmal eine Bestandsaufnahme durchzuführen. Dazu sprach stahl. mit Dr.-Ing. Stefanie Brockmann, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied beim VDEh, über das Image der Branche, die Wünsche an die Politik und die Kampagne „Studier‘ Metallurgie“.
Wie schwierig ist es in der Stahl-Branche aktuell gutes Personal zu finden?
Stefanie Brockmann: Alles dreht sich um die drei großen „D“ – Demografie, Dekarbonisierung und Digitalisierung. Wir müssen die fortschreitende Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft, die aus diesen drei „D“ erwächst, jetzt endlich effektiv angehen. Und der Ukraine-Konflikt macht die Sache nicht einfacher. Alle Branchen kämpfen mit dem Problem des Fachkräftemangels, so auch die Stahlindustrie. Es herrscht ein Konkurrenzkampf um die guten Köpfe. Für die Stahlindustrie ist dies umso dramatischer, da wir gerade viele gute Fachkräfte für die Transformation brauchen. Vor allem suchen wir zahlreiche Metallurgen und Werkstofftechniker, von denen aktuell zu wenige von den Hochschulen nachrücken. Das ist ein wirkliches Defizit.
Wo liegen Ihrer Meinung nach die Gründe, dass Unternehmen den Fachkräftemangel nicht in den Griff bekommen?
Zunächst einmal: Die Unternehmen können sich ihre Fachkräfte nicht schnitzen! Diese sind aufgrund des demografischen Wandels schlicht und einfach nicht vorhanden. Allerdings – da haben Sie Recht – sehen wir Branchen, die ihre Mitarbeiter seit Jahren schlecht bezahlen und für den Nachwuchskräftemangel somit selbst verantwortlich sind, zum Beispiel das Hotel- und Gaststättengewerbe. Weiterhin gibt es Berufe, die einfach jeder braucht und die deshalb chronisch unterbesetzt sind, z.B. Informatiker. Und schließlich gibt es Branchen, deren Image aufpoliert werden müsste – da gehört leider auch die Stahlindustrie dazu. Doch nicht nur die Unternehmen, auch und vor allem die Politik ist gefragt.
Was erwarten Sie beim Gegensteuern von der Politik, respektive der Bildungspolitik?
Wir müssen Bildungschancen verbessern, wir müssen zeitgemäßer ausbilden! Außerdem müssen wir Weiterbildung gezielt fördern. Es gilt die Erwerbsbeteiligung zu erhöhen, auch von Frauen und Älteren Und wir müssen die Fachkräfteeinwanderung steigern. Dazu brauchen wir eine bedarfsgerechte Öffnung des Arbeitsmarktes für ausländische Fach- und Arbeitskräfte. Diese Punkte hat die Bundesregierung in ihrer Fachkräftestrategie richtigerweise erkannt und benannt. Arbeitsmarktexperten meinen zwar, die Strategie habe gute Ansätze, aber geht nicht weit genug. Das kann ich nicht beurteilen – ich bin Ingenieurin.
Die Branche steht für körperlich anstrengende und schmutzige Arbeit. Was wollen Sie als VDEh tun, um das Image nachhaltig zu verbessern?
Das damalige Stahl-Informations-Zentrum hat schon vor 20 Jahren Image-Kampagnen für die Stahlindustrie gemacht, zum Beispiel mit der Kampagne „Made of Steel“, die wirklich erfolgreich war. Oder vor 10 Jahren die Initiative „Zukunft beginnt mit Stahl“. Doch gewisse Bilder und Vorstellungen halten sich einfach hartnäckig. Vielleicht haben wir jetzt die große Chance dies nachhaltig zu ändern, und zwar mit dem Thema Wasserstoff! Die Transformation ist eine Mammutaufgabe, eine große Herausforderung. Doch wir können sie auch nutzen, um junge Talente zu gewinnen. Denn die Aufgabe „Ersetze Kohle durch Wasserstoff!“ ist – auch wenn sie schwierig wird – einfach faszinierend! Da kann man richtig etwas bewegen. Und zwar im Namen des Naturschutzes und des Klimas. Was du machst, hat einen wirklichen Sinn! Ich beneide die jungen Metallurgen, die jetzt in die Jobs kommen. Deshalb hat der VDEh auch die Initiative „Studier‘ Metallurgie“ ins Leben gerufen, die auf drei Appellen arbeitet: „Ersetze Kohle durch Wasserstoff! Arbeite nachhaltig in der erfolgreichsten Circular Economy weltweit! Koch‘ den Werkstoff, der die Welt bewegt!“
Mit Ihrer Kampagne „Studier‘ Metallurgie“ möchten Sie junge Menschen gewinnen. Was sind die ersten Erkenntnisse der Kampagne?
Wir haben als Basis die Website www.studier-metallurgie.vdeh.de geschaltet, die Social Media bedient und elektronische Postkarten an Schulen und Berufsinformationszentren verschickt. Ob die Kampagne Früchte trägt, wird sich im kommenden Wintersemester zeigen. Wir merken allerdings, dass es schwer ist, die Schulen oder überhaupt die junge Zielgruppe wirklich zu erreichen. Deswegen entwickeln wir aktuell die Kampagne weiter und produzieren einen Recruitingfilm. Wir überlegen auch Kooperationen und Partnerschaften mit bestimmten Schulen zu gründen. Doch so etwas ist sehr zeitintensiv – da fehlt uns momentan das Personal.
Welche Angebote sollten Unternehmen jungen Menschen machen, um sie für sich zu gewinnen?
Obwohl das Thema Sicherheit mit dem Ukrainekonflikt und der Energiekrise eine neue Bedeutung bekommen hat, denke ich, dass mittel- und langfristig eine sichere Anstellung und eine attraktive Vergütung nicht ausreichen, junge Talente zu gewinnen. Junge Menschen möchten sich entwickeln und eine gewisse Flexibilität. Ich denke, das können viele Unternehmen bereits bieten, vor allem die Flexibilität hat durch die technische Aufrüstung der Kommunikations-Software seit Corona immens zugenommen. Aber ich bin davon überzeugt, dass Unternehmen stärker ihre Werte kommunizieren müssen. Viele junge Menschen wollen einen Sinn darin sehen, was sie tun! Zum Glück können zahlreiche Jobs in der Stahlindustrie aktuell damit richtig wuchern – denn der Sinn ist nicht weniger als unser Klima zu retten!
Wo steht Ihrer Ansicht nach die Branche in Punkto Fachkräftemangel in 10 Jahren?
Das ist schwierig zu beantworten. Als Privatperson würde ich nach den Erfahrungen des letzten Jahres sagen, dass ich so weit gar nicht mehr vorausschauen möchte. Es kommt ohnehin alles anders als man plant. Wer hätte sich in der Silvesternacht 2021 vorstellen können, in was für einer Welt wir im Dezember 2022 leben! Aber im Geschäftsleben müssen wir natürlich planen – auch langfristig. Wir müssen – wie beschrieben – an einigen Stellschrauben der Rahmenbedingungen drehen. Ich denke, ohne Fachkräfteeinwanderung und intensive und gezielte lebenslange Weiterbildung wird es schwierig. Dennoch bin und bleibe ich optimistisch, denn ich vertraue der traditionsreichen Ingenieurskunst in unserem Land.
Frau Dr. Brockmann, vielen Dank für das Gespräch!