Interview mit Martin Zappe, Programmleiter des SALCOS-Projekts bei Salzgitter Flachstahl
daily wire & Tube: Guten Tag, Herr Zappe. Die Salzgitter AG nimmt eine Vorreiterrolle in der Stahl- und Technologiebranche ein, insbesondere im Bereich der Circular Economy. Könnten Sie uns Ihre Vision und die Schritte, die Sie in Richtung Nachhaltigkeit unternehmen, näher erläutern?
Martin Zappe: Die Salzgitter AG konzentriert sich darauf, als einer der führenden deutschen Stahl- und Technologiekonzerne, die nachhaltige Innovation und Transformation in unseren Geschäftsbereichen Stahlerzeugung, Stahlverarbeitung, Handel und Technologie voranzutreiben. Mit unserer „Salzgitter AG 2030“ Strategie und dem Leitsatz „Pioneering for Circular Solutions“ streben wir danach, neue Standards
in der Industrie zu setzen. Dies erreichen wir unter anderem durch das SALCOS® Programm - Salzgitter Low CO2 Steelmaking, durch welches wir uns auf die Verringerung der CO2-Emissionen konzentrieren und in Partnerschaften sowie Netzwerken die Entwicklung hin zu einer Circular Economy aktiv fördern.
Was beinhaltet das Programm SALCOS® und welche Fortschritte haben Sie bisher gemacht?
SALCOS® steht für Salzgitter Low CO2 Steelmaking und ist unser Flaggschiffprojekt zur Transformation der Stahlindustrie hin zu nahezu klimaneutralen Produktionsprozessen. Wir setzen das Programm stufenweise um, unter Berücksichtigung der sich verändernden Projektrahmenbedingungen. Für die erste Stufe von SALCOS® haben wir knapp 1 Milliarde Euro an öffentlichen Fördermitteln erhalten – 700 Millionen vom Bund und 300 Millionen vom Land Niedersachsen. Die Salzgitter AG investiert für diese Stufe zusätzlich zwischen 1,2 und 1,4 Milliarden Euro. Wir sind damit der erste deutsche Stahlkonzern, der eine solche Förderung erhalten hat. Die zentralen Aggregate für die erste Stufe von SALCOS® sind bereits bestellt, und alle Bereiche befinden sich in der Herstellungs- und Bauphase. Bis 2026 planen wir, Produkte über die SALCOS®-Route auf den Markt zu bringen, mit dem Ziel, bis 2033 eine nahezu CO2- freie Stahlerzeugung zu etablieren.
Wie ist der aktuelle Stand der Bauarbeiten?
Wir haben bereits bedeutende Fortschritte gemacht, darunter die Beauftragung einer 100-MW-Elektrolyseanlage bei der Andritz-Gruppe zur Herstellung von grünem Wasserstoff, die ab 2026 rund 9.000 Tonnen pro Jahr erzeugen wird. Außerdem haben wir an Tenova, Danieli und DSD Steel Group Aufträge für die DRI-Anlage und an Primetals Technologies für den Elektrolichtbogenofen vergeben. Die Bauarbeiten schreiten voran. Mehrere hundert Bauwerkspfähle aus Beton sind bereits gesetzt, Arbeiten an den Fundamenten als auch der Stahlbau im Bereich der Gebäude für den Elektrolichtbogen sind in vollem Gange.
Welche Rahmenbedingungen sind für den Erfolg von SALCOS® entscheidend?
Für den Erfolg von SALCOS® sind der Ausbau erneuerbarer Energien, die Entwicklung einer Wasserstoffinfrastruktur und wirtschaftlich tragfähige Produktionsrouten essenziell. Durch die Transformation werden große Mengen an erneuerbarem Strom und grünem Wasserstoff benötigt. Wesentliche Voraussetzungen für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit sind daher die Verfügbarkeit von grünem Strom und Wasserstoff zu international wettbewerbsfähigen Preisen. Dazu benötigen wir politische Unterstützung, beispielsweise durch einen wettbewerbsfähigen Industriestrompreis und die Schaffung grüner Leitmärkte in Form von Mindeststandards, Prämienmodellen oder gezielten Anrechnungsmöglichkeiten. Der EU-Grenzausgleich (Carbon Border Adjustment Mechanism) soll ab 2026 die freie Zuteilung von CO2-Zertifikaten im EU-Emissionshandel als Carbon Leakage-Schutzinstrument ersetzen. Das Instrument muss wirksam funktionieren, solange weltweit kein Level Playing Field im Hinblick auf Klimaschutzkosten herrscht.
Und wie wirkt sich die Transformation auf Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus?
Die Transformation ist essenziell für die Zukunftsfähigkeit unseres Unternehmens und dient der Sicherung von Arbeitsplätzen. Wir ermutigen die Belegschaft, sich weiterzubilden und aktiv an der Transformation teilzunehmen. Dank des demografischen Wandels können wir die benötigte Anzahl an Arbeitskräften sozialverträglich und ohne Stellenabbau anpassen.
Welche Rolle spielt SALCOS® für Ihre Kunden, speziell in der Automobilindustrie?
Unsere Scope 3-Emissionen sind ein kritischer Faktor für die Automobilindustrie, da sie einen erheblichen Hebel zur Reduktion des CO2-Fußabdrucks bei der Fahrzeugherstellung darstellen. Die Bedeutung dieser Thematik wird durch unsere Partnerschaften mit OEMs (Original Equipment Manufacturers) unterstrichen, mit denen wir über Instrumente wie Mengensicherung und sogenannte Closed Loops zusammenarbeiten, um die Transformation der Stahlherstellung gemeinsam aktiv voranzutreiben. Dieses Thema wird auch auf dem Destination Green Summit vertieft, wo ich am 15. April im Rahmen der wire & Tube (Anmerkung der Redaktion: verlegt auf Oktober) eine Keynote zum Thema „SALCOS® - Partnering mit der Automobilwirtschaft“ halten werde. Wir sehen eine starke Resonanz von unseren Partnern, die zunehmend Wert auf nachhaltige Materialien legen.
Abschließend, welche Herausforderungen sehen Sie auf dem Weg zur Realisierung von SALCOS® und wie gehen Sie diese an?
Die Herausforderungen sind vielfältig, beinhalten aber vor allem die Sicherstellung der notwendigen Infrastruktur für erneuerbare Energien und Wasserstoff sowie die Schaffung eines wirtschaftlichen Rahmens, der die Wettbewerbsfähigkeit unserer transformierten Produktionsrouten gewährleistet. Hierfür sind verlässliche politische Rahmenbedingungen essentiell. Wir stehen in engem Austausch mit politischen Entscheidungsträgern, um die Transformation voranzutreiben. Zudem arbeiten wir eng mit unseren Partnern zusammen, um gemeinsam die Herausforderungen zu meistern und den Übergang zu einer nachhaltigeren Industrie zu realisieren.
Herr Zappe, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.