Die aktuelle wirtschaftliche Lage bleibt schwierig und stellt die Unternehmen der Thermoprozesstechnik vor große Herausforderungen - ob Lieferketten, Dekarbonisierung oder Ukraine-Krise. Im Interview schildern Christian Schrade, Managing Director der LOI Thermprocess GmbH und Sascha Bothen, Senior Vice President Sales, worauf sich die Unternehmen einstellen müssen. Beide legen sich fest: Gerade bei der Digitalisierung besteht noch ein großer Nachholbedarf.
Prozesswärme: Was sind aktuell die größten Herausforderungen für Unternehmen in der Thermoprozesstechnik?
Christian Schrade: Wir haben eine große Lieferkettenproblematik. Manche Lieferanten verschieben Liefertermine um sechs bis zwölf Monate nach hinten. Dies ist für unsere Inbetriebnahme-Termine für die entsprechenden Anlagen mehr als kritisch. Wir sind deshalb mit unseren Kunden im intensiven Austausch und versuchen vorausschauend zu arbeiten.
Sascha Bothen: Insgesamt wird die Partnerschaft mit unseren Kunden intensiver, weil beide Seiten die gleichen Probleme haben. Das führt kundenseitig zu restriktiverem Verhalten. Bei den technischen Aspekten ist die Dekarbonisierung relevant: In jedem Produkt und in jedem Bereich – vom großen Betrieb bis zum kleinen Mittelständler – müssen alle Unternehmen Energie einsparen. Die größte Herausforderung ist der zeitliche Druck, denn nur wenige Kunden haben sich auf den Wandel vorbereitet. Die Branche redet seit langem darüber, wacht jetzt auf und reicht die Dringlichkeit an die Anlagenbauer weiter. Wenn man bedenkt, dass wir weltweit 800 Kunden haben, dann ist das eine Größenordnung, die schwer zu meistern ist.
Wie schätzen Sie die aktuelle wirtschaftliche Lage ein?
Christian Schrade: Die chinesische Wirtschaftspolitik bedient primär den lokalen Markt und will unabhängig werden. Die Corona-Krise in China verschärft das Problem: Wenn hunderte Schiffe vor Shanghai nicht abgefertigt werden, ist völlig klar, dass Verzögerungen in Lieferketten entstehen. Zusätzlich beschäftigt uns auch der Ukraine-Konflikt. Das ist für uns eine neue Erfahrung und wir sehen eine neue geschäftliche Weltordnung entstehen. Die Globalisierung von gestern gibt es heute so nicht mehr. In der Konsequenz werden wir zurück in den lokalen Markt gedrückt. Das heißt: Wir werden uns zumindest in naher Zukunft auf Europa konzentrieren müssen, insbesondere bei der Beschaffung. Wir suchen nach Alternativprodukten von Herstellern, die schneller liefern können.
Sascha Bothen: Der Investitionsbedarf in der Industrie ist hoch – insbesondere im Rahmen der Dekarbonisierung. Das bietet Chancen für das Projektgeschäft in Europa. Wir hatten einen enormen Projektbestand in Russland, der durch die Ukraine-Krise wie der Nebel am Morgen verschwunden ist. Die gute Nachricht ist: Wir können trotzdem die Ausfälle kompensieren. Abgesehen davon sind unsere Gedanken bei der leidenden Bevölkerung in der Ukraine.
Welche neuen Entwicklungen bestehen bei Elektroblechen?
Sascha Bothen: Wichtig ist: Wir sind noch immer federführend im Ofenbau. Gleichzeitig gestaltet sich der Markt umkämpfter und teilweise chaotisch. Die Akteure versuchen sich gegenseitig zu überholen, Investitionen zu beschleunigen und neue Qualitäten und Produkte zu entwickeln. Es besteht ein hoher Bedarf und es gibt viele Investitionsvorhaben bei Neuanlagen. Zu nennen sind auch Modernisierungen und Kapazitätssteigerungen. Das gilt für kornorientiertes als auch für nicht-kornorientiertes Elektroband. Es sind zwar viele große Projekte im Gespräch, aber wir rechnen nur teilweise mit einer Umsetzung. Denn jeder Hersteller und Stahlerzeuger hat unterschiedliche Aggregate im Bestand, die er anpassen müsste, um den Anforderungen an das finale Produkt gerecht zu werden. Aber es gibt nicht viele Experten auf der Welt, die das komplette Prozessrouting überblicken können. Diese haben wir im Haus. Da der Markt stark wächst, suchen wir aktuell nach jungen Nachwuchskräften. Wir wollen uns zeitgemäß präsentieren: modern, anders und sehr offen. Das spielt für uns eine große Rolle. Der Know-how-Transfer zwischen den Generationen ist nicht von heute auf morgen vollbracht, deshalb erweitern wir jetzt unser Team.
Warum sollten Unternehmen in die Digitalisierung investieren?
Sascha Bothen: Mein Eindruck ist: Viele reden über Digitalisierung, wissen aber nicht was das bedeutet. Wenn man mit Kunden spricht, sieht man wenig Offenheit für Investitionen – der Nutzen wird nicht erkannt. Der Bestandsschutz bekommt eine neue Bedeutung. Die Stahlindustrie schreit zwar nach Digitalisierung, aber es hapert an der Umsetzung. Digitale Lösungen haben wir beispielsweise bei Service-Informations- oder auch Auditsystemen. Außerdem verfügen wir über digitale Automationszwillinge für Anlagen. Im Digitalraum an unserem neuen Standort in Duisburg können wir weltweit virtuelle Rundgänge mit dem Kunden machen. Diese gehen mit einem Endgerät durch die Anlage und wir interagieren mit ihnen remote. Darüber hinaus können wir im Digitalraum unsere Anlagentechnik mit Hilfe von Virtual Reality (VR) digital begehen und intern sowie mit unseren Kunden Design Reviews und Trainings durchführen.
Christian Schrade: Unsere Inbetriebnahmen liefen in den letzten zwei Jahren via Remote-Steuerung. Unser Tenova-adVISOR-System bildet diese Fähigkeit ab. Dadurch kann man sich mit dem Kollegen vor Ort in Verbindung setzen und ihn steuern. Bereits vor der Installation und Inbetriebnahme unserer Anlagentechnik können wir diese in der VR begehen und mit dieser interagieren. Mit der Einrichtung unseres Digitalraums haben wir einen großen Schritt in Richtung Digital Engineering unternommen.
Warum tun sich die Kunden bei der Implementierung der Digitalisierung so schwer?
Sascha Bothen: Die Stichworte sind Zugang über Schnittstellen, Datensicherheit und IT-Sicherheit. Zertifizierungen werden nicht anerkannt, weil man Angst vor Datenklau hat. Da ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, denn der Nutzen ist hoch. In Zukunft wird das produzierende Gewerbe weniger Mitarbeiter an den Anlagen haben – viele Prozesse werden automatisiert sein. Der Arbeitsaufwand wird verlagert, beispielsweise hin zu Analysetätigkeiten oder Instandhaltung. Die Frage bleibt: Wie können wir als Anlagenbauer von außen Einfluss nehmen? Interne Lösungen bestehen zwar, aber eine partnerschaftliche IT-Brücke von außen ist schwer umzusetzen.
Vielen Dank für das Gespräch.