Prof. Dr. Ulrich Krupp leitet seit 2018 das Institut für Eisenhüttenkunde der RWTH Aachen. Er initiierte nicht nur die neue Bezeichnung „Lehrstuhl für Werkstofftechnik der Metalle“, sondern setzte auch neue Akzente. Heute spielt das Thema Circular Economy bei seinen Forschungen eine immer größere Rolle. Wie das die Metallurgie beeinflusst und wieso er sich auf den diesjährigen HärtereiKongress freut, verrät er im Interview mit stahl.
stahl.: Herr Prof. Dr. Krupp, welche Zukunft prognostizieren Sie dem Lehrstuhl für Werkstofftechnik?
Prof. Dr. Ulrich Krupp: Wie die neue Bezeichnung des Lehrstuhls verrät, nehmen wir verstärkt die Technologie der Nichteisenmetalle und deren Eigenschaften in den Blick. Durch die additive Fertigung kommen neue Werkstoffe dazu; wir befassen uns jetzt beispielsweise auch mit Aluminiumlegierungen, Hoch-Entropie-Legierungen und Titanwerkstoffen. Eng verbunden mit dem Institut ist der Technologiecampus 3D Materials der Hochschule Osnabrück auf dem Firmengelände des Kupferherstellers KME. Dort beschäftigen wir uns intensiv mit der additiven Fertigung von Kupfer. In der Wertschöpfungskette bleibt der Fokus weiterhin auf der Stahltechnologie, unter anderem auch Elektroblech für neue Elektroantriebe. Diese werden immer dünner und leistungsfähiger. Weitere Schwerpunktthemen sind Mittelmanganstähle sowie Circular Economy für klimaneutralen Stahl.
Warum ist Stahl als Kreislaufmaterial so wichtig?
Der Hauptgrund: Stahl ist ein unendlicher Werkstoff, der immer wieder eingesetzt werden kann. Die natürlichen Eisenerzvorkommen sind hingegen nur begrenzt verfügbar. Und vor allem: Die riesigen Kokskohlemengen, die zur Erzreduktion benötigt werden, gehören zu den größten CO2-Verursachern überhaupt. Auch wenn man auf diese verzichtet und den Hochofenprozess auf Direktreduktion mittels Wasserstoffs umstellt, wird viel elektrische Energie benötigt – schon allein zur Herstellung des Wasserstoffs. Von daher gilt es, die Primäreisenproduktion zu minimieren und Stahl konsequent als Kreislaufmaterial zu betrachten. Stahl hat die einzigartige Eigenschaft, dass man ihn leicht up-cyclen kann, also durch Legierungselemente veredeln. Fakt ist: Abgesehen von Korrosions- und Verschleißverlusten geht von den ursprünglich eingesetzten Stahlprodukten nichts verloren.
Warum wird denn noch so viel Roheisen erzeugt?
In Ländern wie China oder Indien gibt es riesige Infrastrukturprojekte, die viel Stahl benötigen. Dieser steckt dann über Jahrzehnte in Bauwerken, wie Brücken, Hochhäusern usw. Solange derartige Infrastruktur neu aufgebaut und nicht wie in Europa ersetzt wird, ist der Primärbedarf sehr hoch.
Herrscht bei der Direktreduktion mit Wasserstoff eine andere Schlackenmetallurgie?
Mit der Direktreduktion haben wir eine komplett neue Metallurgie vor uns. Wir produzieren dann kein Roheisen mehr im Hochofen, sondern erhalten ein festes Produkt, das durch Wasserstoff reduziert wird. In der Direktreduktion gibt es somit de facto keine Schlackenmetallurgie mehr. Diese Form der Metallurgie muss mit Hilfe eines Elektrolichtbogenofens oder eines Einschmelzaggregats nachgeschaltet werden. Zwar können auch diese Schlacken zu Produkten in der Wertschöpfungskette werden – sie können aber nicht wie Schlacke aus der Hochofenroute in der Zementindustrie weiterverwendet werden.
Welche wirtschaftliche Bedeutung haben Konzepte wie «reuse» und «recycle» heute?
Noch keine große, denn für Neuprodukte gibt es immer noch eine hohe Nachfrage. Das hat zur Folge, dass Dinge verschrottet werden, die nur einen Bruchteil ihrer Lebensdauer durchlaufen haben. Vieles könnte aufgearbeitet oder wiedergenutzt werden, wenn der Materialschädigungsgrad exakt bekannt wäre. In der Luftfahrt ist das beispielsweise schon gang und gäbe, indem evtl. vorhandene Ermüdungsanrisse systematisch für einen Weiterbetrieb bewertet werden. Ich denke, wir müssen hier weiterhin innovativ sein. Gegenüber dem Wiedereinschmelzen besitzt die Wiedernutzung oder -aufbereitung das Potential, 60 % und mehr CO2 einzusparen.
Im Zusammenhang mit Recycling forschen Sie an verunreinigungstoleranten Stählen. Können Sie uns hier einen Einblick geben?
Ein wichtiges Thema ist der Reinheitsgrad, den diese Stähle erreichen können. Bei anspruchsvollen Produkten, wie Feinblechen, lässt sich der Reinheitsgrad mit Stahl aus der Hochofen-Konverter-Route besser einstellen als bei solchem aus im Elektrolichtbogenofen eingeschmolzenen Schrotten, wo Sie eine ggf. Vielzahl von Verunreinigungen vorfinden. Das ist das Kernproblem: durch die übliche Materialbehandlung lässt sich beispielsweise Kupfer aus Elektronikbauteilen, die mit dem Schrott in die Schmelze geraten, nicht mehr entfernen. Derartige Rückstände sind nur durch Verdünnung auf ein akzeptables Level zu bringen. Doch wenn wir den Recycling-Anteil erhöhen, wollen wir idealerweise
keinen Primärwerkstoff mehr hinzufügen. Dann stellt sich die Frage nach verunreinigungstoleranten Stählen: inwiefern kann man mit Kupferkonzentrationen im Stahl leben, ohne dass sie schädlich sind? Um das zu beantworten, untersuchen wir Stähle mit einem Kupferanteil von bis zu einem Prozent. Zuweilen erhalten wir interessante Ergebnisse. Ist das Kupfer beispielsweise homogen verteilt, kann es die Festigkeit steigern und sogar die Ermüdungsschädigungs-Toleranz erhöhen.
Sie fordern, Produktionsprozesse neu zu denken. Was meinen Sie damit konkret?
Das größte Problem der Industrie sind derzeit die steigenden Energiekosten und das unsichere Erdgasangebot. Es gilt daher, Alternativen zur Erdgasnutzung, wie die induktive Erwärmung, besser und marktfähig in die Werke zu integrieren. Zudem ist es häufig primäres Entwicklungsziel, den Stahl nach technisch-wirtschaftlichen Kriterien für möglichst hohe Tonnagen zu optimieren. Hier könnte man sich stärker an ökologischen oder sozio-ökonomischen Aspekten orientieren.
Inwiefern?
Indem man Alternativen zur Verwendung von Legierungselementen, wie bspw. Kobalt, findet, die oft unter problematischen Bedingungen gewonnen werden und schwer erhältlich sind. Ein Ansatz ist, an der Stahlzusammensetzung zu feilen und über die thermomechanische Prozessführung die Eigenschaften einzustellen. Ein Beispiel sind Mittelmanganstähle, bei denen wir durch die Anpassung der thermomechanischen Prozessführung für ein und dieselbe chemische Zusammensetzung ein großes Spektrum von Eigenschaften einstellen können. Das erfordert eine großflächige Nutzung von Sensorik im Stahlwerk und Nutzung von Methoden des maschinellen Lernens. Stichwort ist hier die «digitale Bramme» – ein Produkt, dessen Zusammensetzung und Eigenschaften in jedem Prozessschritt transparent, evaluierbar und flexibel ist. Wir wechseln also von der Anpassung der chemischen Zusammensetzungen mehr zur Anpassung thermomechanischer Umformungsprozesse. Kombiniert man alle Werkstoff- und Prozessdaten mit neuronalen Netzen, kann die Qualität der produzierten Stähle auch mit leicht abweichenden Prozessund Chemieparametern gleichbleiben.
Das Potential metallurgischer Forschung ist also noch groß: Auf dem diesjährigen HärtereiKongress wird dem Nachdruck verliehen. Welche Themen werden dort dieses Jahr diskutiert?
Die wichtigste Neuerung ist, dass parallel zum Härtereikongress die Tagung Steel-Innovation stattfindet. Verknüpft werden beide Events durch eine gemeinsame Podiumsdiskussion zu Nachhaltigkeitskonzepten für die Stahl- und Wärmebehandlungsindustrie. Ich freue mich zudem auf einen großen Block zum Thema Additive Fertigung, ihre Entwicklung in der Industrie, Wirtschaftlichkeitsfragen, neue Techniken und die Qualifizierung neuer Stähle als Ausgangspulver. Heute ist nur ein kleiner Bruchteil an Werkstoffen dafür qualifiziert. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Thema Digitalisierung von Produktionsprozessen, vor allem auch unter Einsatz von KI-Methoden, also Künstlicher Intelligenz. Darüber hinaus wird auch der Umgang mit Wasserstoff ein wichtiges Thema sein, einerseits beim Aufbau der Infrastruktur mit geeigneten Rohrleitungen, andererseits als Medium in Wärmebehandlungsöfen und anderen Kontexten. Es sind also viele spannende Themen dabei.
Der Ukrainekonflikt hat einen großen Einfluss auf die Energiepreise, der die ganze Branche trifft.
Glauben Sie, dass auch das beim HärtereiKongress thematisiert wird?
Mit Sicherheit. Da gibt es zahlreiche Berührungspunkte. Nehmen Sie unsere lufthärtenden Schmiedestähle: Die Ausgangshalbzeuge werden induktiv erwärmt, umgeformt und aus der Schmiedehitze abgekühlt. Der Stahl hat dann bereits die erforderlichen Festigkeitseigenschaften, sodass man auf einen gasbeheizten Ofen verzichten kann. Im Falle eines Gasengpasses wäre das ein wichtiger Beitrag. Es ist natürlich technisch möglich, Wärmebehandlungsanlagen mit Wasserstoff zu betreiben, aber Wasserstoff ist heute noch ein sehr teures Prozessgas. Deshalb schließt die Regierung nun internationale Verträge, um den kommenden Bedarf an grünen Wasserstoff zu decken. Überhaupt, grüner Strom: Allein für die europäischen Stahlwerke müssten 50.000 Windkraftanlagen errichtet werden. Die Nutzung von Wasserkraft birgt andere Risiken: In China wurden Werke kürzlich wegen Wassermangels heruntergefahren. Es kommen also aus allen Richtungen Herausforderungen zusammen, die Diskussionen und Lösungen erfordern. Aber dafür kommen wir ja zusammen: Wir wollen nicht nur die Probleme erörtern, sondern auch Lösungen vorschlagen.
Herr Prof. Dr. Krupp, vielen Dank für das Gespräch.