Im Interview mit stahl. gibt Dr. Sebastian Kreft, Co-Founder des Softwareanbieters Metalshub spannende Einblicke in die Welt des Online-Handels mit metallischen Rohstoffen. Und er erläutert, wie der Carbon Footprint jetzt immer stärker auf den Preis bei Rohstoffen durchschlägt und den Handel mit Schrotten beflügelt.
stahl.: Sie kümmern sich mit Metalshub darum, den Rohstoffeinkauf Ihrer zumeist stahlproduzierenden Kunden mit einer digitalen Softwarelösung und bestmöglicher Bereitstellung aktueller Handelsinformationen zu optimieren. Warum setzen Sie gerade hier den Hebel an?
Dr. Kreft: Das Thema Rohstoffe ist extrem wichtig für Stahlproduzenten, aber auch für alles, was danach kommt in der Wertschöpfungskette. Denn 60 bis 70 Prozent der Kosten sind Rohstoffkosten, hinzu kommen Energie und dann noch die Kosten für die Menschen, die in den Werken arbeiten. Obwohl das Thema Rohstoffeinkauf eigentlich die Kernkompetenz bei den Stahlproduzenten sein müsste, steht das Thema oftmals nicht ganz oben auf der Agenda.
stahl.: Obwohl alle wissen, dass traditionell das meiste Geld im Einkauf verdient wird. Ganz oben auf der Agenda steht beim Rohstoffeinkauf neben dem Preis jetzt immer häufiger wegen der wachsenden CO2-Abgabenlast auch der PCF, der Product Carbon Footprint der Raw Materials.
Dr. Kreft: Zurecht, denn bei einem klassischen Edelstahl-Produzenten hat Nickel im Schnitt rund 40 Prozent Anteil am Carbon Footprint der Endprodukte.
stahl.: Haben andere Legierungskomponenten auch eine so hohe CO2-Mitgift?
Dr. Kreft: Bei Edelstählen sind die drei wichtigsten Legierungszusätze Nickel, Chrom und Molybdän. Bei diesen Rohstoffen kann es im Einkauf je nach Herkunft schon zu relativ starken Unterschieden beim PCF kommen. Unsere Aufgabe ist es, diese Informationen über die Unterschiede beim Point of Purchase zur Verfügung zu stellen. Unsere Kunden können auf unserer Plattform in ihrem Dashboard nicht nur Preis und Qualität, sondern auch den PCF vergleichen und letztlich weist unsere Software aus, wie der unterschiedliche PCF abgabentechnisch auf den Preis durchschlägt. Auf diese Art kann ich durch die richtige Lieferantenwahl meinen Scope 3 schon deutlich reduzieren.
stahl.: Bei steigender Bedeutung des CO2 Fußabdrucks von Stahlprodukten dürfte das Recycling dieser Stoffe ebenfalls deutlich an Attraktivität zunehmen.
Dr. Kreft: Ja, das ist eine weitere Möglichkeit als Stahlproduzent bei meiner Dekarbonisierungsjourney den PCF zu drücken. Swiss Steel etwa geht diesen Weg und steigt jetzt selbst verstärkt ins Recyclinggeschäft ein, um zum Beispiel auf diese Weise Molybdän, eine der Ferro-Legierungen, selbst herzustellen.
stahl.: Das heißt aber auch: Wer Rohstoffe verkaufen will, hat zunehmend schlechte Karten, wenn sein PCF schlechter als der Durchschnitt ist.
Dr. Kreft: Ich würde es mal so formulieren wollen: Fakt ist, dass alle Rohstofflieferanten das Problem, dass sie etwas zum PCF sagen müssten, erkannt haben, dass sie aber ungeachtet dessen, diese Information oftmals nicht gerne teilen möchten. Insbesondere einige Händler wollen ihre Quellen nicht offenlegen. Ich glaube aber für bestimmte Industrien ist es inzwischen unumgänglich, genau das zu tun. Wenn ich mit der Automobilindustrie ins Geschäft kommen will, ist das inzwischen die Eintrittskarte bzw. zwingende Voraussetzung. Ebenso bei öffentlichen Ausschreibungen zum Beispiel bei Bahnschienen. Da greift bereits die Taxonomie der EU.
stahl.: Wie verhindern Sie, dass Sie hier nicht gefaketen Lieferanten-Informationen auf den Leim gehen?
Dr. Kreft: Wir kooperieren zum einen mit der London Metal Exchange, die ein eigenes Team haben, das sich mit diesen Standards und mit der Trustworthyness, wie es so schön heißt, auseinandersetzen, also welche Standards sind akzeptiert und vertrauenswürdig – und welche eher nicht. Das gilt allerdings nur für Brands, die an der London Metal Exchange gelistet sind. Zum anderen arbeiten wir mit der Firma Minviro aus Großbritannien zusammen, die sich auf Life Cycle Assessments und die Berechnung und Auditierung von PCFs spezialisiert hat.
stahl.: In gleicher Weise gilt es ja auch generell das Verfahren bei der Preisfindung von Rohstoffen zu hinterfragen, oder?
Dr. Kreft: Zweifellos. Das wird am besten am Beispiel von Chrom sichtbar. Da gibt es in Europa zwei Unternehmen, die den Preis-Benchmark aushandeln. Und das übernimmt dann der Rest der Industrie jeweils fürs Quartal. Das ist aber kein wirklich transparenter Prozess. Oder, wenn wir uns Molybdän anschauen: In den meisten Fällen wird hier ein Jahresvertrag ausgehandelt. Da der Preis aber volatil ist – zu Jahresbeginn ist er beispielsweise binnen eines Monats von 50 auf 100 Dollar pro Kilogramm gestiegen, drei Wochen später waren wir dann wieder bei 50 Dollar pro Kilogramm –, wird hier ein Index als Preisbasis herangezogen. Dieser Index wird von sogenannten „Price Reporting Agencies“, basierend auf Anrufen und Umfragen bei Marktteilnehmern, Händlern wie auch Abnehmern erstellt. Da ist klar, dass es hier zu Manipulationen kommen kann. Wir versuchen an dieser Stelle, für mehr Transparenz und Objektivität bei der Preisfindung zu sorgen, indem wir unsere Transaktions-Datenbasis mit einbeziehen.
stahl.: Das heißt?
Dr. Kreft: Auf unserer Plattform werden ja ganz konkret Transaktionen abgewickelt. Diese Daten können anonymisiert in die Indexermittlung miteinbezogen werden. Das heißt: Wir stellen unseren Kunden anonymisierte transaktionsbasierte Preisindizes zur Verfügung. Diese Indizes sind, wie wir es nennen, normalisiert. Das bedeutet: Es liegt ein ausgeklügelter, mit der Industrie abgestimmter Algorithmus dahinter, der die unterschiedlichen Vertragsbedingungen und Produktqualitäten berücksichtigt. Ich kann ja zum Beispiel nur bedingt Transaktionen mit 30 und mit 90 Tagen Zahlungsziel vergleichen.
stahl.: Wie wichtig sind diese Indizes für die Entscheider in der Stahlindustrie?
Dr. Kreft: Sie sind sehr wichtig – und nicht nur im Rohstoffeinkauf. Denn viele Stahlverträge haben ja beispielsweise einen sogenannten Legierungsanhänger, mit dem Legierungskosten an den Endverbraucher weitergegeben werden. Und hier sollte man dann möglichst nahe am wirklichen Marktpreis sein.
stahl.: Ihre Nutzer handeln derzeit 200 Produkte. Welches ist das Wichtigste?
Dr. Kreft: Unser wichtigstes Produkt ist im Moment Schrott. Warum ist das so? Wenn man sich den Rohstoffmix anschaut, von Unternehmen, die mit dem Elekrolichtbogenofen Stahl produzieren, dann entfallen ca. 80 Prozent der Rohstoff-Einkaufskosten auf Schrott. Das ist für diese Unternehmen der mit weitem Abstand wichtigste Rohstoff. Die andern 20 Prozent sind Legierungselemete, Zuschlagsstoffe, Schlackebildner und Ähnliches. Bei den Hochofen-Produzenten haben wir logischerweise weit weniger Schrott. Aber da es ja erklärter politischer Wille ist, dass die Hochöfen jetzt Zug um Zug verschwinden sollen, wird auch hier der Weg Richtung Elekrolichtbogenofen oder zum Schmelz-Reduktionsofen gehen. Das heißt, die Konkurrenz – und damit die Nachfrage nach Schrott – wird steigen. Zunächst moderat, dann aber Richtung 2030 wird die Nachfrage nach unserer Prognose extrem zunehmen. Und dann wird die entscheidende Frage sein, wie kann ich mir mein Schrottangebot sichern, sprich: wie stelle ich sicher, dass ich auch in Zukunft genug Schrott für meine Produktion bekomme?
stahl.: Passiert das schon?
Dr. Kreft: Ja, siehe Beispiel Aperam, einer der größten Edelstahlhersteller in Europa, hat einen der drei weltweit größten Edelstahl-Schrotthändler gekauft, die ELG. Eine weitere Tendenz, die sich in den nächsten Jahre verstärken wird: Wer Stahl verkauft, lässt sich künftig zusichern, dass er in der Produktion anfallende Schrotte wieder zurückbekommt. Was ebenfalls passieren wird: Schrott ist auch ein riesiges Logistik-Geschäft. Um erfolgreich zu sein, wird es somit unseres Erachtens in Zukunft auch hier zunehmend auf digitale Skills, Prozesse und Algorithmen ankommen.
stahl.: So, wie es das Neusser Startup ScrapBees vormacht?
Dr. Kreft: Genau, es fängt ganz vorne an, bei jemandem wie ScrapBees, die mit eigenen Wagen zu Handwerkern fahren und Kleinstmengen einsammeln, konsolidieren und klassifizieren. Es geht dann weiter beim Stahlwerk selbst, bei dem künftig sehr viel genauer mit Software-Unterstützung die optimale Zusammensetzung des Schmelzguts unter Einsatz unterschiedlicher Schrottqualitäten gesteuert werden wird: Wie sieht quasi das ideale Schrottrezept jeweils aus? Auch und vor allem unter Berücksichtigung der jeweils gerade aktuellen Preise. Das heißt, Einkäufer und Schmelzmeister ermitteln im Dialog und mit Hilfe von spezialisierter Software die für den zu produzierenden Stahl wirtschaftlich optimale Schmelzrezeptur.
stahl.: In welcher Größenordnung in Euro bewegt sich die wirtschaftliche Optimierung, über die wir hier gerade reden?
Dr. Kreft: Da geht es um richtig viel Geld. ArcelorMittal in Hamburg, die zum Beispiel so arbeiten, sparen auf diese Weise 5 Prozent Schrott ein. Das ist für ein Stahlwerk schon ein Riesenhebel. Das geht es aufs Jahr gerechnet um Millionenbeträge.
stahl.: Wenn die Einsparungen so immens sind, warum macht das nicht längst schon jeder?
Dr. Kreft: Zumeist scheitert es daran, dass die Unternehmen keine strukturierten Daten haben. Das heißt, viele Informationen zum Beispiel im Schrotteinkauf, zu Preis, Qualität, Spezifikation liegen nicht strukturiert vor. Hier setzen wir mit Metalshub an. Wir sorgen im Einkauf für permanent verfügbare, auditierbare und weiterverarbeitbare strukturierte Daten. Vor allem bei der Klassifizierung der Schrotte haben wir im letzten Jahr in mühevoller Kleinarbeit ein sehr detailliertes System entwickelt, das die Schrottqualitäten sehr breit auffächert und auch beim Reklamationsmanagement sehr fein abstuft. Denn bei immerhin rund 25 Prozent der Schrottlieferungen gibt es Beanstandungen seitens des Einkaufs. Will sagen: Hier die Prozesse digital für Einkauf und Verkauf abzubilden, macht sehr viel Sinn.
stahl.: Was sind nach Schrott Ihre wichtigsten Raw Materials, die bei Ihnen gehandelt werden?
Dr. Kreft: Danach kommen Nickel, Chrom, Molybdän. Die Hochofen-Betreiber brauchen zum Beispiel auch sehr viel Mangan Metall.
stahl.: Was Sie bei den Raw Materials vormachen, lässt sich aber offensichtlich nicht ohne Weiteres auf den klassischen Stahlhandel übertragen. Denn nach wie vor gibt es hier immer noch keine mit Amazon vergleichbare Plattform. Warum ist das so?
Dr. Kreft: Den Stahlhandel richtig umfassend zu digitalisieren, hat in der Tat bislang noch keiner wirklich geschafft. Es gab zunächst den Vorreiter Klöckner. Die haben zwar mit XOM ein völlig neues Digitalisierungs-Level erreicht. Dies konnte sich aber dennoch nicht als herstellerübergreifende Plattform durchsetzen. Meines Erachtens liegt es am Ende am Beharrungsvermögen der Stahleinkäufer, die oft immer noch ihre Geschäfte traditionell abwickeln möchten. Diese tradierten Strukturen ändern sich nur langsam.
stahl.: Wie wichtig ist das Werkzeug „Digitaler Auktionshandel“ für Sie?
Dr. Kreft: Bei uns im Rohstoffmarkt nutzen rund 20 Prozent der Unternehmen digitale Auktionen. 80 Prozent der Unternehmen nutzen einen Ausschreibungsmechanismus.
stahl.: Was ist der Vorteil von Auktionen?
Dr. Kreft: Auktionen sind sehr standardisiert und effizient. Das ist gut bei Standard-Produkten und überall dort, wo es einen Angebotsüberhang gibt. Überall, wo es hingegen ein knappes Angebot gibt oder es sich um komplexe Produkte handelt, mit möglichen Substituten, sind Ausschreibungsverfahren oft die bessere Lösung. Welches Verfahren unsere Kunden dann schließlich wählen, bleibt ihnen überlassen. Wir stellen nur die Werkzeugkiste hierfür zur Verfügung.
stahl.: Wo steht Metalshub im nunmehr verflixten siebten Jahr nach der Gründung?
Dr. Kreft: Wir haben angefangen als Procurement-Lösungsanbieter für Unternehmen, die Rohstoffe einkaufen. Da sind wir inzwischen schon sehr weit gekommen, vor allem in Europa und in der westlichen Welt. Wenn wir uns zum Beispiel den Edelstahlbereich anschauen, dann ist das schon eine bemerkenswerte Entwicklung, die wir durchlaufen haben: 45 Prozent aller Rohstoffe, die in die westliche Edelstahlindustrie gehen, werden über unsere Software abgewickelt. Im Carbon Steel-Bereich sind wir außer in Europa noch nicht ganz so stark, haben uns jetzt aber für dieses Jahr vorgenommen, deutlich stärker außerhalb Europas zu wachsen. Wir konnten bereits Kunden in Singapur und Brasilien gewinnen. Auch die USA sind für uns gerade zunehmend ein sehr spannender Markt. Die Logik aber ist – egal wo – eigentlich immer gleich: Die Software funktioniert überall auf der Welt gleich gut. Doch man kennt uns halt außerhalb Europas noch nicht.
stahl.: Bei einer so stark zunehmenden Bedeutung als Software, ist die Versuchung groß, mithilfe von Transaktionsgebühren als Makler den wirtschaftlichen Erfolg zu steigern. Warum tun Sie das nicht längst?
Dr. Kreft: Wir haben sehr früh gelernt, dass das Potential in unserem Markt sehr begrenzt ist. Wir sehen uns folglich nicht als Makler, sondern als Softwareanbieter. Die Software muss man lizenzieren beziehungsweise mieten, wenn man sie nutzen will. Wir nehmen auch keine Kommission, wir sind keine Vertragspartei bei den Geschäften, die über unsere Plattform getätigt werden. Unser Geschäftsmodell ist Software-as-a-Service. Darauf liegt unsere ganze Konzentration. Wir haben rund 25 Programmierer an Bord und releasen derzeit alle zwei Wochen eine neue Version. Aber auch zum Beispiel beim Customer Success Service haben wir ein relativ großes Team.
stahl.: Was ist darunter genau zu verstehen?
Dr. Kreft: Wenn wir neue Kunden gewinnen, dann verwenden wir beim Onboarding dieser neuen Kunden sehr viel Sorgfalt darauf, diese bestmöglich im Umgang mit Metalshub zu schulen. Die Zufriedenheit unserer Kunden ist unser wichtigstes Gut. Wir bringen im Normalfall in maximal drei Monaten – meist aber schon nach vier bis sechs Wochen – den Kunden mit unserer Software so ans Laufen, dass sie ihm operativ nützt und Gewinn bringt. Metalshub ist keine Software, die sich beim Kunden zu einem Riesen-Software-Projekt auswächst. Wir müssen nur die entsprechenden Leute beim Kunden schulen, dann ist der Kunde auch schon startklar. Viele IT-Projekte dauern immer viel länger als geplant, sind viel teurer als geplant und schaffen oft nicht den Return-on-Invest. Bei Metalshub garantieren wir in allen drei Punkten genau das Gegenteil.
stahl.: Wir danken Ihnen für das Gespräch.