Im Interview sprechen Christian Schrade und Matthias Gogollok, Geschäftsführer der LOI Thermprocess GmbH, über den Umbau der Industrie, den Ausbau der erneuerbaren Energien und die limitierenden Faktoren auf dem Weg zur klimaneutralen Stahlproduktion.
Welche Themen stehen für TENOVA LOI THERMPROCESS in diesem Jahr im Vordergrund?
Christian Schrade: Ich gehe von einer wirtschaftlichen Erholung nach einigen schwierigen Jahren aus. Wichtig ist für uns die Tatsache, dass wir aktuell eine gute Auslastung haben. Nach der Corona-Pandemie war das letzte Jahr geprägt vom Krieg in der Ukraine – wir mussten uns, wie alle anderen Unternehmen, in diesem Umfeld behaupten. Wir hoffen, dass wir die Lieferketten weiter stabilisieren können. Da hatten wir in den letzten Jahren Probleme. In diesem Zusammenhang hat sich die Abhängigkeit von China gerächt – das gilt für die gesamte deutsche Wirtschaft. Viele Zuliefererfirmen sind schlichtweg ausgefallen. Wir hoffen, dass sich der Markt weiter stabilisieren wird und die Volatilität vorübergeht. Sehr wichtig ist die Entscheidung Chinas, von der rigiden Corona-Politik Abstand zu nehmen und die damit verbundenen Einschränkungen aufzuheben.
Erwarten Sie durch Investitionen in die Dekarbonisierung einen höheren Auftragseingang?
Christian Schrade: Ein Leuchtturmprojekt wird jeder integrierte Stahlerzeuger in Europa umsetzen. Danach wird sich zeigen, mit welcher Geschwindigkeit die Konzerne die Dekarbonisierung vorantreiben. Insgesamt wird es sicherlich einen Investitionsschub geben. Neben den Neuinvestitionen hin zur Direktreduktion auf der ganzen Welt müssen Anlagen umgerüstet werden, um die gesetzten Klimaziele zu erreichen. Je mehr elektrische Energie und/oder Wasserstoff – oder Gase, die Wasserstoff enthalten – eingesetzt werden, desto mehr lassen sich die CO2-Emissionen verringern. Wobei der Einsatz von Kohlenstoff in der Stahlerzeugung ohnehin nicht zu vermeiden ist. Bei der Elektrostahlerzeugung wird Einblaskohle zur Schlackenbildung benötigt, das Oxygenstahlwerk benötigt Kohle im Roheisen als Energieträger. Ansonsten funktioniert der Prozess nicht.
Matthias Gogollok: Der Investitionsschub in die Dekarbonisierung der Stahlindustrie wird von einer breiten gesellschaftlichen Zustimmung getragen. Insgesamt verschieben sich die Schwerpunkte der öffentlichen Debatte. Es geht heute zum Beispiel um das Thema Regionalisierung und die Reduzierung von Abhängigkeiten. Die Globalisierung betrachten heute viele Menschen kritischer, als vor einigen Jahren. Die regionale und europäische Dimension von Investitionsentscheidungen rückt in den Vordergrund. Allein die Tatsache, dass wir öffentliche Gelder als Subventionen der Stahlindustrie zur Verfügung stellen, zeigt wie sich die Prioritäten in den vergangenen Jahren verändert haben.
Wie wird sich Ihrer Meinung nach der Energiepreis entwickeln – und was ist energiepolitisch zu tun?
Christian Schrade: Die Entwicklung ist schwer zu prognostizieren. Eine wichtige Frage ist, welche Alternativen zum Erdgas der Industrie zur Verfügung stehen. Vor kurzer Zeit hat die Regierung mit viel Jubel das erste LNG-Terminal in Betrieb gesetzt, was faktisch ja lediglich die Entladung eines LNG Trägers durch ein weiteres, bereits vorhandenes, Schiff darstellt. Außerdem ist Deutschland abhängig von vielen anderen Faktoren. Bislang war die Industrie auf günstiges Gas aus Russland ausgerichtet – das hat sich als zu einseitig herausgestellt. Alle Beteiligten reden von Wasserstoff, der praktisch noch nicht verfügbar ist – zumal die Erzeugung umweltfreundlicherweise auch über kostengünstige erneuerbare Energien erfolgen sollte. Eine weitere Frage ist auch die Logistik: Wird der benötigte Wasserstoff nah an der verbrauchenden Anlage produziert, oder werden noch weitreichende Rohrtrassensysteme benötigt? Die bereits bestehenden Leitungen, die für Wasserstoff geeignet sein könnten, befinden sich hüttentechnisch erzeugt üblicherweise in Hüttennähe und transportieren heute schon Mischgase, die bis zu 60 Prozent Wasserstoff enthalten können.
Die Genehmigungsverfahren dauern in Deutschland sehr lange. Sehen Sie mittlerweile Fortschritte in der angestrebten Beschleunigung der Projekte?
Matthias Gogollok: Entscheidend für den Aufbau der alternativen Energieversorgung ist die Geschwindigkeit. Wir haben beispielsweise in Nordrhein-Westfalen sehr lange Zeit für den Konsens gebraucht, dass Windanlagen näher an Wohnhäuser gebaut werden können. Die Notwendigkeit ist offensichtlich, aber die Verfahren dauern bis heute zu lange. Es gibt eine ganze Menge an Technologien, die zur Verfügung stehen. Beispielsweise überlegt man jetzt neben den Off-Shore-Windanlagen auch Photovoltaik-Anlagen auf See zu installieren. Das sind die momentanen Leuchtturm-Projekte. Die Frage ist: Wie schnell bekommt man solche Technologien in die Fläche?
Christian Schrade: Theoretisch müssten wir eine größere Nachfrage nach Windkraftanlagen registrieren. Jedoch gibt es hier bereits einen langen Projektstau. Es müsste täglich eine Vielzahl an Anlagen installiert werden, um die Ziele zu erreichen. Aber von der notwendigen Geschwindigkeit sind wir weit entfernt. Bei Windkraftanlagen gehen die Genehmigungsverfahren bis zur Bürgerbefragung. Das dauert seine Zeit.
Was lässt sich Ihrer Meinung nach bis zum Jahr 2030 umsetzen?
Christian Schrade: Das Jahr 2030 ist zunächst der erste Schritt. Ein Großteil der Hüttenwerksbetreiber will bis 2050 die vollständige Transformation durchgeführt haben. Die laufenden Bestandsanlagen können die Hersteller auch nicht ohne weiteres abstellen. Wenn man die Werte betrachtet, die in den Hüttenwerken in den letzten Jahrzehnten verbaut wurden, dann sind das immense Investitionssummen. Der Umwandlungsprozess heißt nicht umsonst Transformation, da Bestandsanlagen nicht einfach abgeschaltet werden können, sondern in neue Erzeugungsrouten eingebunden werden müssen. Aufstellungsorte und Logistik spielen hier auch eine große Rolle.Einschränkend kommt hinzu, dass es nur eine begrenzte Anzahl an Anlagenbauern gibt, die solche Projekte umsetzen kann. Das ist definitiv ein limitierender Faktor.
Wie kann Digitalisierung zur Beschleunigung des Transformationsprozesses beitragen?
Christian Schrade: Wir haben in den letzten drei Jahren einen großen Schub der Digitalisierung erfahren. Wir können beispielsweise Anlagen aus der Distanz elektronisch warten. Wir haben außerdem einen Virtual Reality Space in unseren Büroräumen eingerichtet. Damit können wir die zu projektierenden Anlagen komplett abbilden, anschauen und virtuelle Meetings mit Kunden abhalten. Weiterhin hat sich das Remote Commissioning, also die Inbetriebnahme der Anlage aus der Distanz, sehr gut etabliert.
Sehen Sie eine Bereitschaft auf Käuferseite, für grünen Stahl einen höheren Preis zu bezahlen?
Christian Schrade: Es gibt immer Vorreiter – beispielsweise bei Weißgeräteherstellern oder auch bei Premium-Automobilherstellern, die ein Label auf ihrem Produkt haben wollen und dann natürlich auch einen höheren Preis für nachhaltige Produkte ansetzen. Die Einstellung in der Bevölkerung wandelt sich langsam. Die Bereitschaft, für Nachhaltigkeit auch einen höheren Preis zu bezahlen, wächst. Das sieht man in der Stahlindustrie. Jeder große Hersteller hat einen Markennamen für nachhaltigen Stahl. Der Markt dafür ist vorhanden.
Wie differenziert sich in Bezug auf die Dekarbonisierung TENOVA LOI THERMPROCESS von den Wettbewerbern?
Christian Schrade: Wir entwickeln optimale Konzepte, um dem Kunden geringe Betriebs- und Wartungskosten zu ermöglichen. Weiterhin bieten wir hohe Qualität im Anlagenbau und betreiben ausgefeilte Prozessmodelle bis hin zu smarten Beheizungseinrichtungen. Das alles unter Verwendung nachhaltiger Lösungen. Wir setzen auf Digitalisierung von der Projektplanung bis zum späteren Anlagenbetrieb.
Herr Gogollok, Herr Schrade,
vielen Dank für das Gespräch.