Der Wasserstoffhochlauf nimmt Fahrt auf. Im Interview mit gwf Gas stellt Jimmie Langham das Wasserstoff-Leitprojekt der Bundesregierung „TransHyDE“ sowie seine Energiewende-Beratungsagentur cruh21 vor. Außerdem diskutieren wir Schlüsselfragen der Energiewende: welchen Wasserstoff brauchen wir, woher bekommen wir ihn, und welche Hindernisse gilt es zu überwinden?
gwf: Herr Langham, könnten Sie Trans- HyDE kurz vorstellen?
Langham: Gerne. Unsere Wurzeln liegen im Jahr 2019. In dem Ideenwettbewerb „Wasserstoffrepublik Deutschland“ sammelte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Vorschläge, um den Hochlauf einer Grünen Wasserstoffwirtschaft in Deutschland zu fördern. Das Ministerium erhielt unglaublich viele Ideenskizzen. Das Konzept des BMBF war, diese in drei Töpfe zu sortieren: erstens H2Giga – alles, was sich mit Erzeugung und Elektrolyse beschäftigt; zweitens H2Mare für Offshore-Themen, und drittens Speicherung, Transport und Infrastruktur – daraus entstand TransHyDE. Das Ministerium gab uns die Aufgabe, den sehr heterogenen Ideen von Trans-HyDE eine Gesamtstruktur zu geben. Manche Projektideen mussten in andere Fördercalls verschoben werden. Mit den restlichen haben wir eine Matrixstruktur ausgearbeitet und sie in Forschungs- und Umsetzungsprojekte unterteilt.
gwf: TransHyDE war also ursprünglich ein Ideentopf des BMBFs?
Langham: So kann man es sagen. Trans- HyDE ist das Kondensat aus der Vielzahl an Ideen für Speicher- und Transportoptionen für Grünen Wasserstoff, die am Ideenwettbewerb des BMBF teilgenommen haben. Um ein so großes Projekt von Wissenschaft und Wirtschaft zu stemmen, wurde sich für eine dreigeteilte Gesamtkoordination ausgesprochen, die die Grundlagenforschung mit Prof. Robert Schlögl vom Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft, die angewandte Forschung mit Prof. Mario Ragwitz der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG und mit mir von Seiten der Industrie abdeckt. In Abstimmung mit uns wurden die Ideen wie beschrieben geclustert und entsprechende Förderanträge geschrieben.
gwf: Was sind die TransHyDE Projekte?
Langham: Wir haben sie räumlich lokalisiert und die Projekte Mukran (trimodaler Wasserstofftransport in Hochdruck-Kugelspeichern), GetH2 in Lingen (Umwidmung von Erdgaspipelines und Neubau von Wasserstoff-Pipelines), CAMPFIRE in Rostock (Ammoniak und seine vielfältigen Anwendungsfelder als Energieträger) und Helgoland (eine Wasserstoffwertschöpfungskette mit LOHC, liquid organic hydrogen carriers) herausgearbeitet. Zu diesen ‚senkrechten‘ Säulen haben wir ‚horizontal‘ die Forschungsprojekte etabliert. Das Forschungsprojekt ‚Systemanalyse‘ ist hierbei unsere Königsdisziplin. Es soll einen Umsetzungsplan beschreiben, wie der Aufbau einer Grünen Wasserstoffinfrastruktur optimal funktionieren kann. Das Forschungsprojekt ‚Norm‘ behandelt die Querschnittsthemen Normierung, Standardisierung und Zertifizierung. Das Forschungsprojekt ‚Sichere Infrastruktur‘ betrachtet den sicheren Umgang mit gasförmigem Wasserstoff. Beim Forschungsprojekt ‚AmmoRef‘ geht es um die effiziente, industriell skalierbare Reformierung von Ammoniak zu Wasserstoff. Das Forschungsprojekt ‚AppLHy!‘ fokussiert die Technologien zur effizienten Verflüssigung, Speicherung und dem Transport von flüssigem Wasserstoff. Eine weitere übergeordnete Thematik ist die Regulatorik. Sie ist so entscheidend, dass wir sie im Rahmen der Gesamtkoordination aufgehängt haben und das Thema gemeinsam mit den Wasserstoff-Leitprojekten H2Giga und H2Mare angehen.
gwf: Wie hat sich TransHyDE seither entwickelt?
Langham: Offiziell ist TransHyDE seit April 2021 aktiv. Richtig in Schwung kam das Ganze im dritten und vierten Quartal letzten Jahres. Wir stehen also noch am Anfang des Projekts. Erstmal mussten Schnittstellen und Abläufe definiert werden, jetzt arbeiten wir den Arbeitsplan ab. Neu ist, dass wir diesen Plan dynamisch betrachten. Gerade wegen des Ukraine-Konflikts passiert in der Energiewelt so viel, dass die Vorstellung, sich vier Jahre mit Fördermitteln einzuschließen und vor sich hinzuforschen, garantiert nicht funktionieren wird.
gwf: Thema: BMWK: Herrscht in der Bundesregierung Einigkeit beim Thema Wasserstoff?
Langham: Vor allem die Debatte um die Reduktion von Gasleitungen sorgt für Diskussionen. Manchmal spürt man auch den Regierungswechsel. Gelegentlich gibt es in den Ressorts verschiedene Lösungsansätze, wobei gleichwohl die Einsicht herrscht, dass schnell gehandelt werden muss. Hierbei begrüße ich, dass BMBF und BMWK mehr und mehr gemeinsame Schnittstellen identifizieren und die Zusammenarbeit fördern.
gwf: Experten haben errechnet, dass Deutschland im Jahr 2030 ca. 80 % seines Wasserstoffbedarfs wird importieren müssen. Wer wird uns denn Wasserstoff liefern?
Langham: Ganz provokant gesagt: Die 80 %-Importquote halte ich für zweifelhaft. Dass wir importieren müssen, ist unbestritten – aber die tatsächliche Menge steht noch keineswegs fest. Ich finde es bezeichnend, dass wir mit H2Global ein Förderprogramm für Importprojekte gefunden haben, bevor ein Mechanismus für inländische Projekte entwickelt wurde. Da hat man sehr früh eine hohe Importquote festgelegt. Dabei könnte heimisch deutlich mehr erzeugt werden.
gwf: Haben Sie eine Zahl?
Langham: Nein. Ich würde einfach die Frage stellen: Muss man die hohen Importquoten so schnell akzeptieren? Die Argumentation ist oft, dass wir aktuell nicht die eigenen Produktionskapazitäten haben und der Import billiger sei. Hierbei denken viele nur bis zur Kai-Kante des Import-Terminals. Da sind wir beim Kernthema von TransHyDE: Wie kommt der Wasserstoff vom Importterminal zum Anwender in Chemnitz, in Niederbayern oder sonst wo? Wenn wir dies in Relation zu einer lokalen eigenen Produktion sehen, werden manche dezentrale Erzeugungsmöglichkeiten ebenfalls attraktiv.
gwf: Der Bau eines LNG-Terminals in Wilhelmshaven wurde sehr kurzfristig gefordert. Ist TransHyDE da involviert?
Langham: Indirekt, ja. Es gab ein vom Wasserstoff-Beauftragten der Bundesregierung Dr. Stefan Kaufmann initiiertes Treffen. Dort waren neben TransHyDE Vertreter aus der Gasbranche und des BMWK anwesend. Es wurde diskutiert, wie LNG-Terminals H2-Ready werden können. Solche Aspekte waren früher nur von geringer Relevanz. TransHyDE kann aufgrund seiner vielfältigen Partner einen entscheidenden Beitrag in der Diskussion leisten, was H2-Ready wirklich bedeutet. Dies lässt sich nicht allein darauf reduzieren, dass man Wasserstoff grundsätzlich durch Gaspipelines schicken kann.
gwf: Sie sprachen die Transportfrage an. Zeichnet sich für Sie ein Favorit in der Debatte um die Transportmedien für Wasserstoff ab?
Langham: Ich glaube, es wird für jede Anwendung ein spezifisches Transportmedium geben. Es ist unstrittig, dass die klassische Pipeline für reinen Wasserstoff am günstigsten ist. Doch meines Erachtens wird es kein flächendeckendes Wasserstoff- Pipelinenetzwerk geben. Dafür bedarf es dezentraler Lösungen, die in verschiedenen TransHyDE Verbundprojekten betrachtet werden. Hierbei stellt sich die Frage nach dem geeigneten Medium bzw. Trägermaterial: gH2 in Druckbehältern, LH2, LOHC, Ammoniak und so weiter. Jedes hat diverse Stärken. So bleiben beispielsweise bei gasförmigem Wasserstoff in Druckbehältern energetische Wandlungsverluste weitgehend aus. LH2 bietet unter anderem Vorteile, wenn die Kälteenergie synergetisch genutzt wird, wie in Kombination mit Supraleitungssystemen. Bei LOHC kann, neben weiteren Vorteilen, bei gezielter Wärmeprozessführung während des Hydrierungs- und Dehydrierungsprozesses ein möglicher wirtschaftlicher Nutzeneffekt erzielt werden. Ammoniak als commodity der chemischen Industrie weist zum Beispiel eine hohe volumetrische Energiedichte auf und wird bereits heute weitreichend transportiert. Über die Betrachtung in der Systemanalyse wird eine geclusterte Abwägung und Bewertung der jeweiligen Anwendungsfälle durchgeführt.
gwf: Also ist die Frage nicht entschieden?
Langham: Nein. Und das Problem ist nicht nur, eine Transporttechnologie nach oben zu skalieren, sondern sie auch auf eine dezentrale Supply-Chain nach unten zu skalieren, z. B. für eine kleine Tankstellenanwendung. Das „Runterskalieren“ wird also auch eine spannende Frage, und es werden mehrere Medien zum Zuge kommen.
gwf: Das heißt: je dezentraler die Herstellung, desto diversifizierter die Transportmethoden?
Langham: Fast. Ich würde sagen: Je dezentraler der Verbrauch, desto diversifizierter der Transport. Wie gesagt: Sobald wir eine Pipeline haben, ist sie das Mittel der Wahl. Alles, was nicht an einem Backbone liegt, muss individuell betrachtet werden. Das ist gerade das Spannende an TransHyDE: wir schauen technologieoffen auf sämtliche Optionen. Die Systemanalyse evaluiert am Ende, wo was sinnvoll ist.
gwf: Wir haben über Import und Transport gesprochen. Betrachten wir den Wasserstoff selbst. Priorisieren Sie ausschließlich Grünen Wasserstoff? Wie stehen Sie zur ‚Farbdebatte‘?
Langham: Die Diskussion wird weltweit geführt. Es handelt sich im Kern um die Frage nach einer Brückentechnologie. Das Argument ist: kriegt man den Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft besser und schneller hin, wenn man farboffen bleibt? Und: können wir uns eine Brücke erlauben? Wie lange darf sie sein? Manche Akteure werden die Brücke so lang wie möglich nutzen. Meine persönliche Tendenz ist dabei, dass wir keine Zeit mehr für eine Brücke haben. Wir sollten von Anfang an auf Klimaneutralität setzen, statt in Brückentechnologien zu investieren, die weiterhin CO2 erzeugen. Denn investiert man in eine Brücke, manifestiert man sie. Es ist eine politische Willensentscheidung: will man ein Übergangssystem schaffen, oder eines, das nachhaltig ist?
gwf: Die Industrie ist bereit, in Wasserstoff zu investieren, doch sie fürchtet stranded assets und hohe Energiepreise. Sogar das Gespenst der Deindustrialisierung steht im Raum. Können wir uns Grünen Wasserstoff leisten?
Langham: Noch sind wir zu langsam. Mir fehlt eine Förderstrategie für die inländische Erzeugung. Für den Hochlauf ist sie das Schlüsselelement, auf das alle warten. H2Global ist ein guter Ansatz für Importe – warum kopiert man es nicht für den heimischen Markt? Natürlich ist die Regierung neu und hat mit akuten Krisen zu kämpfen; bislang fehlte die Zeit für umfassende Förderstrategien. Ich hoffe, dass wir 2023 signifikante Schritte sehen werden. Bisher waren staatliche CFDs (Contracts for Difference, Differenzkontrakte) immer hilfreich für einen Markthochlauf, denn er allein gibt die Garantie für eine sichere Marktumgebung. Ich verstehe nicht, warum man sich gegen einen Wasserstoff-CFD wehrt. Nehmt das Ding, kopiert es, macht es für den Inlandsmarkt reif.
gwf: Für den Inlandsmarkt sind die Kommunen entscheidend. Haben Sie Pläne für die kommunale Transformation mit Wasserstoff?
Langham: Sie haben Recht. Regionale Projekte sind ein wichtiger Baustein für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft. Es ist so: Auf der einen Seite stehen die großen B2B Aktivitäten, die am Backbone liegen und mit Importaktivitäten verknüpft werden. Auf der anderen Seite stehen die „Inseln“, die abseits jeglicher Pipelinenetze entstehen und die regionale Versorgung sicherstellen. Das sind meist ganzheitliche Projekte mit ähnlichem Schema: man errichtet Kapazitäten für erneuerbare Energien, erzeugt vor Ort Wasserstoff und nutzt ihn z. B. für den lokalen ÖPNV. Idealerweise entwickelt man auch Nutzungskonzepte für den bei der Elektrolyse entstehenden Sauerstoff oder die Abwärme.
gwf: Wie unterstützt TransHyDE solche Projekte?
Langham: Wir kommen da ins Spiel, wo Wasserstoff eine commodity wird. Nicht jeder ist an ein Backbone angeschlossen, nicht jeder ist autark, nicht jeder ist an so einer Insel. Es gilt, zwischen den Elementen eine Infrastruktur aufzubauen: Insel a muss zu Insel b transportieren, Einzelinsel a muss c anzapfen, das Ganze muss an den Backbone angeschlossen werden. Mit diesen Fragen beschäftigt sich TransHyDE: Wie laufen die Ströme zwischen den Elementen? Wie geht man mit Produktionsüberschüssen um?
gwf: Sie erarbeiten einen Umsetzungsplan für eine Wasserstoffwirtschaft, der Versorgung, Vernetzung und Zusammenschaltung beinhaltet – könnte man das mit der Funktionsweise einer KI vergleichen?
Langham: Im übertragenen Sinne ist das möglicherweise zutreffend. Ich würde es aber eher so sehen: Es gibt einen Werkzeugkasten, der verschiedene Instrumente enthält – Ammoniak ist der Hammer, LOHC die Zange, flüssiger Wasserstoff der Schraubenzieher, gasförmiger Wasserstoff die Säge und so weiter. Damit kann man sein System zusammenbauen. Der Masterplan dreht sich um die Frage: wie wende
ich diesen Werkzeugkasten am effizientesten an? Wo benutze ich wann was?
gwf: Also ist TransHyDE die Bedienungsanleitung für den Werkzeugkasten?
Langham: Genau. Das ist ein gutes Bild. Und zusätzlich sind wir mit den beiden anderen Leitprojekten des BMBF verbunden. Zu dritt decken wir die gesamte Wertschöpfungskette von der Herstellung bis zum Endverbraucher ab. Über Projektgrenzen hinweg versuchen wir, Synergien zu heben und prüfen, wo Handlungsbedarf existiert. So verschränken sich langsam die Leitprojekte.
gwf: Gibt es auf europäischer Ebene etwas, das TransHyDE entspricht?
Langham: Deutschland steht natürlich nicht allein da. Eine geeignete Wasserstoff-Speicher- und Transport-Infrastruktur kann nur auf europäischer Ebene erfolgreich sein. Im Rahmen der EU-Kommission haben z. B. meine Koordinatorenkollegen, Prof. Schlögl und Prof. Ragwitz den Strategic Research and Innovation Agenda Prozess für den Bereich Transport und Infrastruktur von Grünem Wasserstoff geleitet, dessen Ergebnisse im März 2022 veröffentlicht wurden und nun in die Umsetzung gehen. Unser Fokus bei TransHyDE im 2. Halbjahr 2022 ist, die europäische Vernetzung voranzutreiben und uns in diesem Kontext weiter zu positionieren.
gwf: Herr Langham, vielen Dank für das Gespräch.