Mit 24,3 Milliarden Euro lagen die im Inland verbuchten Auftragseingänge der Mitglieder der VDMA Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau 2023 um 15,7 Prozent über dem Niveau des Vorjahres (2022: 21,0 Milliarden Euro). Der Wert stellt einen langjährigen Höchststand dar und speist sich sowohl aus Groß- und Megaprojekten für nachhaltige Anlagen als auch aus Aufträgen für Services und Ersatzteile.
„Der Einsatz innovativer Technologien in der Projektabwicklung sowie die strategische Ausrichtung der Unternehmen auf neue Märkte und klimaschonende Technologien hat wesentlich zu diesem Wachstum beigetragen.“, so Jürgen Nowicki, Vorsitzender der VDMA Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau (AGAB) und CEO von Linde Engineering.
Bestellungen aus den Industrieländern
Im Inland stiegen die Bestellungen 2023 um 45,4 Prozent auf den Rekordwert von 9,6 Milliarden Euro (2022: 6,6 Milliarden Euro). Neben einer Vielzahl von Klein- und Serviceaufträgen aus dem Energiesektor waren hierfür mehrere Großaufträge für nachhaltige Anlagen, insbesondere aus der Stahlindustrie Auslöser. Die Auslands-Auftragseingänge lagen 2023 mit 14,8 Milliarden Euro um 2,5 Prozent über dem Niveau des Vorjahres (2022: 14,4 Milliarden Euro).
Den AGAB-Mitgliedern ist es damit gelungen, den Wegfall des russischen Marktes sowie die rückläufige Nachfrage aus China und Indien durch die Gewinnung neuer Kunden in anderen Weltregionen zu kompensieren.
Westeuropa USA verzeichnen hohe Nachfrage
In Westeuropa und Nordamerika waren die VDMA-Großanlagenbauer 2023 besonders erfolgreich. Die Unternehmen verbuchten dort Aufträge im Wert von 7,7 Milliarden Euro (2022: 7,2 Milliarden Euro). Wichtigster Einzelmarkt waren die USA mit Bestellungen von 2,4 Milliarden Euro (2022: 2,2 Milliarden Euro), gefolgt von Italien mit 1,1 Milliarden Euro und Großbritannien mit 860 Millionen Euro.
Auf dem amerikanischen Markt wirkten sich die vom „Inflation Reduction Act“ ausgehenden Investitionsanreize positiv auf die Anlagennachfrage aus.
„Die Zahlen belegen, dass es unseren Mitgliedern in kurzer Zeit gelungen ist, den Wegfall vormals wichtiger Märkte zu kompensieren. Der Schlüssel dazu ist Agilität: Anlagenbauer haben ihre Organisation so aufgestellt, dass sie flexibel in volatilen Märkten agieren können.“, erklärt Nowicki.
Verstärkte Akzeptanz für Übergangstechnologien CCS und CCU
Im aktuellen Marktumfeld eröffnen sich neue Chancen für die Branche – vor allem durch den steigenden Bedarf an nachhaltigen Produktionsanlagen und Kraftwerken.
Übergangstechnologien, bei denen Kohlendioxyd abgeschieden und gespeichert wird (CCS = Carbon Capture and Storage) oder einer anderen industriellen, stofflichen Nutzung zugeführt wird (CCU = Carbon Capture and Utilization), gewinnen hierbei an Akzeptanz, vor allem in den USA und in Europa.
Deutschland hat in einer bemerkenswerten Richtungsentscheidung seinen bisherigen Standpunkt neu justiert und will die Anwendung von CCS und CCU nun ermöglichen. Der Fokus für den Einsatz der Technologie soll auf schwer vermeidbaren Emissionen liegen, etwa in der Stahl- oder der Zementindustrie.
„Hinter diesem Sinneswandel steht die Erkenntnis, dass der Übergang zu einer klimaneutralen Industrie nicht schlagartig, sondern nur schrittweise durch einen Mix aus grünen und fossilen Energieträgern mit integrierter CO2-Speicherung gelingen kann. Andernfalls wären sowohl die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Europa als auch die ambitionierten Klimaziele bis 2050 in Gefahr“, sagt Nowicki.
Künstlichen Intelligenz
Der Großanlagenbau befasst sich verstärkt mit KI und testet unterschiedliche Szenarien zur Steigerung der Produktivität.
„Erhebliche Fortschritte durch den Einsatz von KI konnten bereits bei der Programmierung von Anlagen und bei der Softwareentwicklung erzielt werden.“, so Nowicki.
Die Mitglieder der AGAB beobachten die dynamische Weiterentwicklung der Technologien und beschäftigen sich mit neuen Anwendungsfeldern, etwa im Bereich des Projekteinkaufs und dem Engineering.
„Perspektivisch verspricht KI dem Anlagenbau signifikante Produktivitätssprünge, indem sie Ingenieure bei der Durchführung komplexer Planungsaufgaben unterstützt“, ergänzt der AGAB-Vorsitzende.
Modernisierung des OECD-Konsensus im Großanlagenbau
Das Projektgeschäft des VDMA-Großanlagenbaus ist auf verlässliche und praktikable politische Rahmenbedingungen angewiesen. Im Bereich der staatlich geförderten Exportfinanzierung gibt es jedoch für Unternehmen aus OECD-Ländern im weltweiten Wettbewerb nur ein begrenztes Level Playing Field.
„Wir begrüßen daher die im letzten Jahr umgesetzte Modernisierung des OECD-Konsensus. Zwar konnte der Anwendungsbereich nicht auf die Entwicklungszusammenarbeit oder Investitionsgarantien erweitert werden. Die Regeln sind jetzt aber flexibler und besser geeignet, gegenüber Nicht-OECD-Wettbewerbern wie China wettbewerbsfähigere Konditionen zu bieten“, erklärt Dr. Harald Weber, Geschäftsführer der AGAB.
VDMA fordert Vertiefung des europäischen Binnenmarktes
Der Großanlagenbau, der mit seinen Technologien auch zum Weg Europas in eine klimaneutrale Zukunft entscheidend beitragen kann, schließt sich den Forderungen europäischer Wirtschaftsverbände an, den Binnenmarkt weiter zu vertiefen. „Die Dynamik der europäischen Integration muss erneuert werden“ meint Weber gerade mit Blick auf die bestehenden Hemmnisse bei der innereuropäischen Arbeitnehmerentsendung und verweist auf das vom VDMA unterzeichnete Papier.
Optimismus in der Branche
Die meisten AGAB-Mitglieder rechnen 2024 mit konstanten oder steigenden Umsätzen und sind auch im Hinblick auf den Auftragseingang optimistisch, insbesondere was die Nachfrage aus Europa betrifft.
Diese Zuversicht basiert auf der Tatsache, dass der VDMA-Großanlagenbau seinen Kunden innovative Technologien für eine saubere Energieerzeugung und die Dekarbonisierung industrieller Prozesse anbieten kann. Hinzu kommen die Potenziale des Servicegeschäfts sowie von innovativen Technologien wie etwa der Künstlichen Intelligenz.
„Die Aussichten im Großanlagenbau sind vielversprechend, schließlich kommt dem Industriezweig bei der Erreichung des 1,5-Grad-Ziels eine Schlüsselrolle zu. Das eröffnet Wachstumsperspektiven, wobei Klimaneutralität das gemeinsame Ziel aller AGAB-Mitglieder ist“, so Jürgen Nowicki.