Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau (AGAB) verbuchten an ihren europäischen Stammsitzen im Jahr 2022 Aufträge im Wert von 21,0 Milliarden Euro – 0,8 Prozent weniger als im Vorjahr (2021: 21,2 Milliarden Euro). Trotz vielfältiger Herausforderungen hat der Großanlagenbau das schwierige Geschäftsjahr 2022 damit erfolgreich gemeistert und sich im Markt behauptet. „Neben der Digitalisierung und Automatisierung vieler Prozessabläufe sowie dem Einsatz innovativer Technologien auf Baustellen hat sich vor allem die konsequente Ausrichtung der Unternehmen auf nachhaltige Anlagen und Verfahren ausgezahlt“, ordnete Dr. Hannes Storch, stellvertretender Vorsitzender der AGAB und Geschäftsführer der Outotec GmbH & Co KG, die Geschäftsentwicklung des vergangenen Jahres ein.
Hohe Nachfrage aus dem Inland und den Industrieländern
Die Inlands-Bestellungen verdoppelten sich 2022 auf 6,6 Milliarden Euro (2021: 3,2 Milliarden Euro) und erreichten damit den höchsten Wert seit 2011. Auslöser für diesen Aufschwung waren Megaaufträge für die Netzanbindung mehrerer Offshore-Windparks in der deutschen Nordsee.
Die Auslands-Auftragseingänge lagen mit 14,4 Milliarden Euro um 20 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres (2021: 18,0 Milliarden Euro). Dieser Rückgang ist nahezu ausschließlich auf den Wegfall des russischen Marktes zurückzuführen: Die um das Russlandgeschäft bereinigten Auslands-Bestellungen erhöhten sich 2022 um 23 Prozent.
Besonders erfolgreich waren die VDMA-Großanlagenbauer im vergangenen Jahr in den Industrieländern. Erstmals seit 2008 verbuchten die Unternehmen dort Aufträge im Wert von mehr als 7 Milliarden Euro. Rund 60 Prozent dieses Volumens wurde von Kunden aus Westeuropa beauftragt. In den USA erreichten die Bestellungen mit 2,2 Milliarden Euro einen Rekordwert. Zuwächse meldeten die Mitgliedsfirmen darüber hinaus aus dem Mittleren Osten sowie aus großen Schwellenländern wie etwa Brasilien und Indien.
Großanlagenbau ermöglicht die Dekarbonisierung industrieller Prozesse
Die Märkte im Großanlagenbau befinden sich mehr denn je im Wandel – nicht nur wegen des Ukrainekriegs. So war das Marktumfeld 2022 erneut von pandemiebedingten Nachholeffekten und einer hohen Nachfrage nach Lösungen zur Digitalisierung und Dekarbonisierung industrieller Prozesse geprägt. Nowicki: „Die Mitglieder der AGAB setzten hierbei wieder Maßstäbe, etwa bei der Lieferung von Raffinerien für synthetische Kraftstoffe sowie von Anlagen für eine CO2-freie Energieerzeugung. Auch beim Bau von klimaneutralen Stahlwerken und Zementanlagen sowie der nachhaltigen Gewinnung von Nicht-Eisen-Metallen zählt der VDMA-Großanlagenbau zu den globalen Nachhaltigkeits-Pionieren.“
Brückentechnologien helfen beim Übergang in eine nachhaltige Wirtschaft
Darüber hinaus wurden 2022 Anlagen zur Erzeugung von Wasserstoff, der als Energieträger und Reduktionsmittel in der Stahlindustrie zukünftig eine zentrale Rolle bei der Dekarbonisierung spielen soll, geliefert. Bislang fehlen allerdings noch Großanlagen, mit denen grüner, also mit regenerativem Strom erzeugter Wasserstoff, im Gigawatt-Maßstab hergestellt werden kann. Bis das der Fall sein wird, ist eine stärkere Nutzung von blauem Wasserstoff und blauem Ammoniak unumgänglich, dessen CO2 bei der Entstehung abgeschieden und gespeichert wird (CCS-Technologie: Carbon Capture and Storage). „Der Übergang von einer Wirtschaftsform, die überwiegend auf der Nutzung fossiler Energien basiert zu einem ausschließlich auf der Nutzung regenerativer Energien beruhenden Modell kann nur über einen schrittweisen Umbau und einen Mix aus grünen und aus fossilen Energieträgern mit CCS gelingen“, analysiert Dr. Storch.
Rechtssicherheit für mobiles Arbeiten im Ausland notwendig
Der tiefgreifende Wandel in der Arbeitswelt nach der Pandemie verlangt nach neuen steuerlichen Rahmenbedingungen. Warum? Die durch New Work und den zunehmenden Fachkräftemangel beliebte Lösung des mobilen Arbeitens birgt bei Grenzüberschreitung die Gefahr, ungewollt steuerliche Betriebsstätten im Ausland zu begründen. Die den Großanlagenbau prägenden zeitintensiven Baustellen führen aber schon jetzt zu einer Vielzahl steuerlicher Betriebsstätten im Ausland und somit zu erheblichem administrativem Mehraufwand – im Vergleich zu vielen anderen Branchen und dem Wettbewerb außerhalb der OECD. Zusätzliche steuerliche Betriebsstätten sollten deshalb erst nach Ablauf einer bestimmten Anzahl mobiler Arbeitstage im Ausland entstehen, um weiteren administrativen Aufwand durch ungewollte Lohnsteuerverpflichtungen in anderen Staaten zu vermeiden. Nationale Regelungen sind dazu allein nicht ausreichend. „Der VDMA-Großanlagenbau drängt deshalb auf ein international abgestimmtes Vorgehen – mindestens innerhalb der Europäischen Union, idealerweise zwischen den OECD-Mitgliedstaaten“, fasst Storch die Forderungen des Großanlagenbaus zusammen.
Steigende Umsätze im laufenden Jahr erwartet
Die meisten AGAB-Mitglieder rechnen 2023 mit konstanten oder sogar steigenden Umsätzen und sind im Hinblick auf den Auftragseingang überwiegend optimistisch. Diese Zuversicht speist sich vor allem aus der Tatsache, dass der VDMA-Großanlagenbau seinen Kunden innovative Technologien für eine saubere Energieerzeugung und die Dekarbonisierung industrieller Prozesse anbieten kann. Darüber hinaus bauen die Unternehmen ihr Servicegeschäft konsequent aus und beteiligen sich mit dem Bau von Anlagen für das Recycling von Wertstoffen aktiv am Aufbau einer Kreislaufwirtschaft in Europa. „Die Perspektiven im Großanlagenbau sind vielversprechend, schließlich kommt dem Industriezweig bei der Erreichung des 1,5-Grad-Ziels eine Schlüsselrolle zu. Das eröffnet Wachstumsperspektiven. Dabei ist Klimaneutralität das gemeinsame Ziel aller AGAB-Mitglieder“, lautet Dr. Storchs ermutigendes Fazit.