ResponsibleSteel und die Non-Profit-Organisation Low Emission Steel Standard (LESS aisbl) haben ein neues Policy-Briefing mit dem Titel „The Steel Decarbonisation Scale“ veröffentlicht. Darin fordern sie von der EU-Kommission und europäischen Politikern ein robusteres, realitätsnahes Konzept zur Stahldekarbonisierung. Dieses soll sowohl die physischen Grenzen der Schrottverfügbarkeit berücksichtigen als auch Anreize für echte Emissionsreduktionen in allen Produktionswegen schaffen.
Die Stahlbranche ist nach der EU-weiten Produktion die zweitgrößte industrielle CO₂-Quelle und verursacht etwa 6 % der Gesamtemissionen der EU. Angesichts der Ziele zur Reduktion der Treibhausgasemissionen um 55 % bis 2030 und Netto Null bis 2050 kommt es entscheidend darauf an, wie Dekarbonisierungsfortschritte gemessen und gefördert werden.
Schrottverfügbarkeit als entscheidender Engpass
Ein zentrales Ergebnis des Briefings ist, dass viele politische Instrumente – etwa der European Steel and Metals Action Plan (ESMAP) oder freiwillige CO₂-Labels – die Knappheit von Schrott nicht ausreichend berücksichtigen. Zwar wird global bereits ca. 85 % des Stahls recycelt, aber laut Internationaler Energiebehörde (IEA) kann momentan nur etwa 32 % der Nachfrage mit Recyclingdeckungen gedeckt werden. Und selbst bis 2050 werden maximal 46 % erreicht – wegen der langen Nutzungsdauer von Stahlprodukten.
Dr. Martin Theuringer, Generalsekretär von LESS aisbl, warnt: „Stahl-Dekarbonisierung benötigt eine geeignete Basis, um Stahlprodukte hinsichtlich ihres globalen Klimaeinflusses vergleichbar zu machen. Schrott ist eine wertvolle und begrenzte Ressource. Jedes Label oder jeder Standard, der das ignoriert, riskiert Marktverzerrungen und verlangsamt letztlich den Übergang zu wirklich emissionsarmem Stahl. Unser Ansatz stellt sicher, dass sowohl Primär- als auch Recyclingproduktion dekarbonisiert werden – nicht nur um um einen festen Schrottpool zu konkurrieren.“
Die „Steel Decarbonisation Scale“ als neuer Ansatz
Die vorgeschlagene Skala ergänzt das klassische CO₂-Fußabdruck-Modell um die Berücksichtigung des Anteils an Schrott gegenüber Primärrohstoffen. Ein international bereits anerkanntes Konzept, das unter anderem von der G7 und führenden Normenorganisationen unterstützt wird. Die Ziele sind:
• Verhinderung ineffizienter Konkurrenz um begrenzte Schrottressourcen
• Förderung der Dekarbonisierung in allen Stahlproduktionswegen
• Technologieneutrale und WTO-konforme Lösungen
• Gleichzeitiger Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Industrie bei globalem Klimaschutz
Annie Heaton, CEO von ResponsibleSteel, betont: „Ein europäisches Stahl-Label ist eine hervorragende Chance, Stahlhersteller für ihren realen Dekarbonisierungsfortschritt global wettbewerbsfähig zu machen. Ein gut gestaltetes Klassifizierungssystem berücksichtigt neben der CO₂-Intensität auch den Schrottgehalt – in Anerkennung dessen, dass Schrott bestenfalls die Hälfte des Weltstahlbedarfs bis 2050 decken kann. Dadurch lenkt die ‚Steel Decarbonisation Scale‘ Investitionen dahin, wo sie bei der Stahlproduktion selbst – in Primär- wie Sekundärstahlherstellung – Wirkung zeigen.“
Appell an die EU-Kommission
ResponsibleSteel und LESS fordern die EU-Kommission auf, die „Steel Decarbonisation Scale“ bei der Entwicklung freiwilliger Labels, führender Märkte („lead markets“) und Investitionsfördermechanismen zu berücksichtigen. Nur so könne sichergestellt werden, dass zukünftige Maßnahmen wirksam, gerecht und klimataktisch ausgerichtet sind.