Im Zuge der Fernwärmeversorgung benötigen ausführende Unternehmen zum Neu- und Ausbau von Verteilleitungen im öffentlichen Straßenraum Wegenutzungsrechte, die im Rahmen von Gestattungsverträgen mit den Kommunen geschlossen werden.
Der Bundesgerichtshof erlaubt Kommunen nach neuestem Urteil ein Auswahlverfahren, auf dessen Grundlage lediglich ein Unternehmen die Gestattung erhält, was zu Verunsicherung bei den Versorgern führt, die bisher Verträge „freihändig“ (ohne Ausschreibungsverfahren) schließen konnten. Ein vom Energieeffizienzverband AGFW bei dem Kartell- und Energierechtler Dr. Max Baumgart beauftragtes Rechtsgutachten analysiert das BGH-Urteil und seine Folgen.
BGH-Urteil stellt bislang gängige Praxis in Frage
„Bislang war es so, dass die Versorger auf die Kommunen zugegangen sind, um für bestimmte Teilgebiete oder sogleich für das gesamte Gebiet Wegenutzungsrechte einzuholen“, erläutert Dr. Norman Fricke, Bereichsleiter Recht und Europa beim AGFW. Da Gestattungsverträge aus kartellrechtlichen Gründen keine Exklusivrechte erlauben, ist es rechtlich möglich und gängige Praxis, dass mehrere Fernwärmeversorger in derselben Ortschaft tätig sind und entsprechende Wegenutzungsrechte einholen.
In vielen deutschen Kommunen bieten mehrere Fernwärmeversorger und Energiedienstleistern mit mehr oder weniger ausgedehnten Wärmenetzen ihre Wärme an. Soweit Kommunen die Gewährung von Wegenutzungsrechten verweigern, hatten Fernwärmeversorgungsunternehmen nach verbreiteter und auch vom AGFW vertretener Auffassung einen kartellrechtlichen Anspruch auf Abschluss eines Wegenutzungsvertrags zu angemessenen Konditionen.
Das Urteil des BGH vom 5. Dezember 2023 stellt diese Praxis jedoch in Frage. Nach Auffassung des BGH bestehen Ansprüche Wegerechte nur dann, wenn die technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten den Bau paralleler Netzinfrastrukturen erlauben.
Verunsicherung bei Kommunen und Versorgern: Rechtsgutachten soll Klarheit schaffen
Da letzteres – wie der BGH unterstellt – in der Regel nicht der Fall ist, dürfe die Kommune ein Auswahlverfahren durchführen, auf deren Grundlage ein einziges Unternehmen die Gestattung erhält. Sie Versorger und Kommunen sind verunsichert und fragen sich, ob sie künftig Wegenutzungsverträge nur noch nach vorherigem Auswahlverfahren erteilen dürfen.
Das vor diesem Hintergrund beauftragte Rechtsgutachten des AGFW bei dem Kartell- und Energierechtler Dr. Max Baumgart zur bestehenden Rechtslage kommt zu dem Schluss, dass das Urteil nicht die Rechtslage geklärt hat, sondern mehr Fragen aufwirft als beantwortet.
„Der BGH hat offengelassen, ob Kommunen zur Durchführung eines Auswahlverfahrens verpflichtet sind. Soweit er eine solche Ausschreibungspflicht nahelegt, ist die rechtliche Grundlage fragwürdig und verkennt etablierte kartellrechtliche Grundsätze“, so Dr. Max Baumgart.
Verzögerungen im Rahmen der Wärmewende nicht zielführend
Der AGFW vertritt vor dem Hintergrund des Gutachtens nach wie vor die Rechtsauffassung, dass Wegenutzungsverträge mit interessierten Kommunen freihändig und ohne Ausschreibungsverfahren geschlossen werden dürfen.
Eine solche Vorgehensweise sei im Zuge der Wärmewende unerlässlich. Der von der Bundespolitik gewünschte und durch das WPG flankierte Ausbau der Wärmenetze würde durch langwierige Auswahlverfahren massiv verzögert, so der AGFW weiter.
„Würde sich die Rechtsauffassung durchsetzen, dass Gestattungsrechte für bestehende Fernwärmesysteme via Auswahlverfahren an Dritte vergeben dürfen, lähmt das die Investitionsbereitschaft der Fernwärmebranche“, warnt Dr. Fricke.
Wenn Deutschland, wie vorgeschrieben, bis 2030 zu 50 % mit klimaneutraler Wärme versorgt werden soll, sei es unabdingbar, die Netze jetzt umzurüsten und auszubauen. Während der BGH die Rechtslage vielleicht erst in einigen Jahren klären könne, liefe den Versorgern derweil die Zeit davon.
Der AGFW weist darauf hin, dass das Gutachten auf dessen Homepage mit einem Mitgliederzugang abgerufen werden kann.