Die anhaltend hohen Energiepreise, die steigende Inflation und die damit verbundenen Kaufkraftverluste belasten zunehmend die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland.
Zwar ist das dritte Quartal laut aktueller amtlicher Zahlen besser verlaufen als erwartet und die deutsche Wirtschaft gewachsen. Für den weiteren Verlauf erwartet die Bundesregierung jedoch eine rückläufige Wirtschaftsleistung im Winterhalbjahr 2022/23, in deren Folge die Zuwachsrate des BIP im Jahresdurchschnitt 2023 leicht negativ sein dürfte.
Der Industrie ist es gelungen, ihren Gasverbrauch seit Jahresbeginn substantiell zu reduzieren
Ein Großteil dieser Einsparungen ist auf steigende Effizienz sowie Substitution durch alternative Energiequellen zurückzuführen. Produktionseinbußen zeigen sich vor allem in den energieintensiven Industriezweigen. Die Gasspeicher sind Stand Anfang November zu über 99 % befüllt. Die Industrieproduktion legte am Ende des dritten Quartals noch einmal zu. Der Ausblick für die kommenden Monate ist aber eingetrübt angesichts einer spürbar rückläufigen Nachfrage und einer deutlich unterkühlten Stimmung in den Unternehmen.
Die Inflationsrate ist im Oktober weiter auf 10,4 % gestiegen, den höchsten Wert seit Dezember 1951. Dabei dürfte sich die Mehrwertsteuersenkung für Erdgaslieferungen und Fernwärme von 19 % auf 7 % dämpfend ausgewirkt haben. Von Januar bis August 2022 meldeten die deutschen Amtsgerichte mit insgesamt 9.414 beantragten Unternehmensinsolvenzen rund 2 % weniger Anträge als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Aktuelle Frühindikatoren und Umfragen deuten auf steigende Insolvenzzahlen in den nächsten Monaten hin, eine „Insolvenzwelle“ ist derzeit jedoch nicht in Sicht.
Deutsche Volkswirtschaft steht vor Winterrezession
Die anhaltend hohen Energiepreise, die steigende Inflation und die damit verbundenen Kaufkraftverluste belasten weiterhin die Aussichten für die deutsche Wirtschaft. Laut Umfragen liegen sowohl die Geschäftserwartungen der Unternehmen als auch das Konsumklima nach wie vor auf Tiefständen. Demgegenüber stehen aber auch einige Erfolge: So ist es der Industrie gelungen, seit Jahresbeginn gut 20 % ihres Gasverbrauchs einzusparen und unabhängiger von russischem Erdgas zu werden. Ein Großteil dieser Einsparungen ist auf gesteigerte Effizienz zurückzuführen, da sich die Wirtschaftsleistung vergleichsweise stabil hält. Zudem haben Unternehmen in ihrer Produktion Gas teilweise durch alternative Energiequellen substituieren können. Die Gasspeicher sind seit Anfang November zu über 99 % gefüllt. Zudem ist die Wirtschaft laut der Schnellmeldung des Statistischen Bundesamts vom 28. Oktober im dritten Quartal entgegen den Erwartungen um preisbereinigt +0,3 % gegenüber dem Vorquartal gewachsen.
Die weiteren Aussichten sind dennoch stark eingetrübt. Die Industrieproduktion insgesamt ist zwar am aktuellen Rand stabil, im Berichtsmonat September wuchs sie um 0,7 %. Deutliche Rückgänge waren aber bereits seit Jahresanfang in den energieintensiven Bereichen des Verarbeitenden Gewerbes zu verzeichnen – sie liegen rund zehn Prozent unter dem Niveau vom Jahresanfang. Zudem waren die Auftragseingänge auch im September stark rückläufig (-4,0 %) und sprechen für eine weiter abkühlende Nachfrage. Auch der Ausblick für den Außenhandel bleibt pessimistisch: Im September lagen sowohl Ausfuhren als auch Einfuhren im Minus. Der Anstieg der Verbraucherpreise erreichte derweil im Oktober einen neuen Höchstwert von +10,4 % gegenüber Vorjahr. Dies ist der höchste Wert seit über 70 Jahren.
Unter dem Strich bestätigt sich das Bild der Herbstprojektion vom 12. Oktober, nach der die Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr noch ein Wachstum von 1,4 Prozent aufweisen dürfte, welches vor allem auf die positive Entwicklung in den ersten drei Quartalen zurückzuführen ist. Im Winterhalbjahr 2022 / 2023 dürfte die deutsche Wirtschaft dann in eine Rezession rutschen. Für das Jahr 2023 erwartet die Bundesregierung als Folge im Jahresdurchschnitt einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,4 % im Vorjahresvergleich.
Verbesserte Lage in der Weltwirtschaft
Aktuelle Indikatoren zeigen eine insgesamt robuste Entwicklung des globalen Umfeldes. Die weltweite Industrieproduktion verbesserte sich im August mit +0,5 % leicht gegenüber dem Vormonat und auch der Welthandel legte im August gegenüber dem Vormonat mit +0,7 % etwas zu. Auch die Stimmungsindikatoren am aktuellen Rand signalisieren eine Stabilisierung der weltwirtschaftlichen Lage auf niedrigem Niveau. Der Index von S&P Global (ehemals IHS Markit) lag im September zwar weiter unter der Wachstumsschwelle von 50 Punkten, konnte allerdings gegenüber dem Vormonat geringfügig zulegen. Die Zuwächse im Dienstleistungsbereich konnten einen Rückgang im Bereich des Verarbeitenden Gewerbes ausgleichen. Für die kommenden Monate rechnen die Umfrageteilnehmer allerdings mit einem schwierigen weltwirtschaftlichen Umfeld.
Leichter Rückgang der Im- und Exporte
Sowohl die nominalen Einfuhren als auch die nominalen Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen lagen im September saisonbereinigt mit -2,6 % bzw. -0,3 % gegenüber dem Vormonat im Minus. Der Rückgang der nominalen Werte liegt vor allem an den stark rückläufigen Preisen der Im- und Exporte (-0,9 % bzw. -0,6 % ggü. Vormonat). Real dürfte der Rückgang deswegen deutlich schwächer gewesen sein. Infolge des starken Preisrückgangs von importierten Energieträgern, insbesondere Gas, haben sich auch die Terms of Trade verbessert. So erholte sich der Handelsbilanzüberschuss im September deutlich und lag bei +2,6 Mrd. Euro (August: -1,3 Mrd. Euro). Allerdings ist dieser vor allem aufgrund der Energiepreiskrise immer noch auf einem sehr niedrigen Niveau, im September des Vorjahres lag er mit +12,0 Mrd. Euro fast zehnmal so hoch.
Der Ausblick für den Außenhandel bleibt pessimistisch, hat sich aber leicht verbessert. Die ifo-Exporterwartungen haben sich mit -5,3 Saldenpunkten im Oktober leicht erhöht, liegen aber weiterhin auf einem Niveau, das mit dem Frühjahr 2020 vergleichbar ist. Die Erholung von den Lieferengpässen setzt sich, nach dem Rücksetzer im September, im Oktober weiter fort. Laut ifo-Umfrage berichten im Oktober 64 % der Unternehmen von Engpässen in der Beschaffung. Die Auflösung von Staus vor wichtigen Häfen sowie sinkende Containerfrachtraten dürften die Situation verbessert haben.
Eingetrübte Aussichten für die Industriekonjunktur
Die Produktion im Produzierenden Gewerbe ist im September gegenüber dem Vormonat um 0,6 % gestiegen. Während der Ausstoß in der Industrie um 0,7 % zunahm, kam es im Baugewerbe zu einem Rückgang um 0,3 %. Der Bereich Energie verzeichnete einen Zuwachs um 1,7 %.
In den einzelnen Industriebranchen kam es zu unterschiedlichen Entwicklungen: Im gewichtigen Bereich Kfz und Kfz-Teile gab es ein kräftiges Plus von 9,3 % im Vormonatsvergleich. Auch pharmazeutische Erzeugnisse (+10,9 %), Kokerei und Mineralölverarbeitung (+10,5 %), Datenverarbeitungsgeräte, elektrische und optische Erzeugnisse (+3,8 %), Papier und Pappe (+1,2 %) sowie Metallerzeugnisse (+0,9 %) meldeten Zuwächse. Andere Wirtschaftszweige indes, wie die energieintensiven chemischen Erzeugnisse (-2,9 %) sowie Glas, Glaswaren und Keramik (-1,3 %), aber auch der Maschinenbau (-1,7 %), verzeichneten Abnahmen ihrer Produktion.
Die Auftragseingänge sind im September gegenüber dem Vormonat um 4,0 % gesunken. Bereits im August waren sie um 2,0 % gefallen. Insgesamt lagen die Bestellungen zuletzt 10,8 % unterhalb des Vorjahresniveaus. Der Rückgang im Vormonatsvergleich war auf einen Einbruch der Auslandsnachfrage zurückzuführen: Während die inländischen Bestellungen noch leicht im Plus lagen, sanken die Auftragseingänge aus dem Ausland um 6,3 % (Nicht-Euroraum) bzw. sogar 8,0 % (Euroraum). Auf Branchenebene schlugen kräftige Rückgänge in den beiden größten Industriebereichen Kfz (-9,0 %) und Maschinenbau (-8,1 %) auf den Gesamtindex durch. Der Höhenflug der Auftragseingänge, der sich nach der Corona-Pandemie im Zuge von Nachholeffekten eingestellt hatte, scheint beendet zu sein. Die Auftragseingänge liegen nun wieder auf einem Niveau wie vor der Corona-Krise.
Für die Industriekonjunktur bleibt der Ausblick auf die kommenden Monate eingetrübt, auch wenn die Industrieproduktion am Ende des dritten Quartals noch einmal zulegte und es im Quartalsvergleich zu einem beachtlichen Plus um 0,5 % gekommen ist. So ist die Nachfrage merklich rückläufig und die Stimmung in den Unternehmen deutlich unterkühlt.
Inflationsrate im Oktober erneut auf historischem Niveau
Die Inflationsrate, gemessen am Anstieg des Verbraucherpreisniveaus binnen Jahresfrist, hat sich im Oktober weiter auf 10,4 % erhöht. Dieser Wert entspricht dem höchsten Stand seit Dezember 1951.
Damals hatte ein knappes Güterangebot kurz nach der Währungsreform für hohe Inflationsraten gesorgt. Damit stieg die Rate im Oktober 2022 um 0,4 Prozentpunkte gegenüber dem Vormonat (September: +10,0 %). Die Kerninflationsrate (ohne Nahrungsmittel und Energie) lag mit +5,0 % (September: +4,6 %) erneut nicht einmal halb so hoch wie die Gesamtrate, allerdings auf dem höchsten Stand seit Dezember 1993.
Die Teuerung der Energieträger fiel erneut sehr kräftig aus (+43,0 %; September: + 43,9 %). Preisdämpfend dürfte sich die Mehrwertsteuersenkung für Erdgaslieferungen und Fernwärme von 19 % auf 7 % aus dem dritten Entlastungspaket auf die Inflationsrate ausgewirkt haben. Dennoch stiegen die Preise hier deutlich gegenüber dem Vorjahresmonat (Gas: +109,8 %; Fernwärme: +35,6 %). Auch für die nächsten Monate werden hohe Inflationsraten erwartet. Die Bundesregierung geht in ihrer Herbstprojektion von Mitte Oktober für den Jahresdurchschnitt 2022 von einem Anstieg um 8,0 % aus. 2023 wird dank der Gas- und Strompreisbremsen mit einer Dämpfung gerechnet (+7,0 %). Diese Einschätzung wird auch von dem Sachverständigenrat in seinem jüngsten Jahresgutachten geteilt (+8,0 % bzw. +7,4 %).
Insolvenzen 2022 insgesamt unter Vorjahresniveau
Die rückläufige Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen der vergangenen beiden Jahre hält weiterhin an und die Zahlen bleiben auch im Jahr 2022 bisher weiterhin unter Vorjahresniveau. Nach endgültigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes meldeten die deutschen Amtsgerichte von Januar bis August 2022 mit insgesamt 9.414 beantragten Unternehmensinsolvenzen 2,3 % weniger Anträge als im entsprechenden Vorjahreszeitraum.
Als Frühindikator gibt die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen Hinweise auf die künftige Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen. Nach einem deutlichen Rückgang der Regelinsolvenzen im September von 20,6 % ggü. dem Vormonat gab es im Oktober mit 18,4 % mehr beantragten Verfahren ggü. dem Vormonat eine Gegenbewegung. Experten des IW Halle gehen von steigenden Insolvenzzahlen in den nächsten Monaten aus; eine „Insolvenzwelle“ wird derzeit jedoch nicht erwartet. Allerdings stellen die Folgen des Kriegs in der Ukraine und die drastisch gestiegenen Energiepreise für viele Unternehmen Belastungen dar, deren Auswirkungen auf das Insolvenzgeschehen in den nächsten Monaten nur schwer abzuschätzen sind.