Im Zuge der Wärmewende wird über die Rolle von Wasserstoff und die Zukunft der Gasverteilnetze heftig gestritten. Spätestens 2045 wird kein fossiles Gas mehr durch die 330.000 km langen Gasverteilnetze fließen, die zurzeit noch jede zweite Wohnung in Deutschland zur Wärmeversorgung beliefern. Technisch ließen sie sich aber durchaus umrüsten für grüne Gase, zum Beispiel Wasserstoff oder Biomethan, beispielsweise aus der Abfall- oder Abwasserentsorgung. Und auch als Speicher kann man sie nutzen. Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU): „Grundsätzlich geht es um zwei Optionen: Umnutzung oder Außerbetriebnahme. Wir sind für einen geordneten Ausstieg aus fossilem Erdgas und einen Einstieg in klimaneutrale Gase wie Wasserstoff – und zwar dort, wo es sinnvoll ist. Das heißt weder, das wir alle Gasnetze umnutzen müssen, noch das wir alle Gasnetze außer Betrieb nehmen oder gar aus dem Boden reißen. Die Transformation hängt von den örtlichen Bedingungen ab.“
Und weiter: „Was uns dafür fehlt ist jedoch die passende Regulierung. Ob Stilllegung oder Umnutzung – für beide Optionen brauchen wir Antworten und Lösungen für zahlreiche Herausforderungen, da die bisherige Regulierung auf den dauerhaften Betrieb der Gasnetze ausgerichtet ist. Bei der Wärmewende müssen wir Infrastrukturen immer und zwingend mitdenken.“
Neue Studie zeigt, wie dringend sich der Regulierungsrahmen ändern muss
Eine vom VKU in Auftrag gegebene Studie der Rechtsanwaltskanzlei Becker Büttner Held (BBH-Gruppe) unter der Leitung von Prof. Dr. Ines Zenke zeigt vier Zukunftsszenarien für die Nutzung der Gasnetze auf und adressiert den Handlungsbedarf. Ziel der Studie mit dem Titel „Regulatorische Anpassungsbedarfe zur Transformation der Gasversorgung im Kontext der Wärmewende“ ist, aufzuzeigen, bei welchen Regelungen auf Bundes- und EU-Ebene konkret Anpassungsbedarf besteht: je nach künftigem Nutzungsszenario zum Beispiel bei den Regelungen zu Netzentgelten, der Anschluss- und Versorgungspflicht, Abschreibungen, Nutzungsdauer, bei der Eigenkapital-Verzinsung, bei der Finanzierung, bei Konzessionsverträgen und Entflechtungsregeln (sogenanntes Unbundling).
Prof. Dr. Ines Zenke: „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass das heutige Erdgasnetz künftig komplett stillgelegt, komplett umgewidmet oder komplett weitergeführt werden wird. Es gibt aber auch kein Modell, das auf alle Orte anwendbar ist. Am wahrscheinlichsten ist eine Mischung, entscheidend muss dabei die jeweilige Situation vor Ort sein.“
Liebing ergänzt: „Diese lokalen Potenziale können wir mit kommunalen Wärmeplänen heben. Mit ihnen können Städte und Gemeinden ihre eigene Strategie für eine klimaneutrale Wärmeversorgung entwickeln und die Technologie wählen, die optimal und kostengünstig zu den Bedingungen vor Ort passt. Die Schlussfolgerungen des Gutachtens zahlen genau auf diese Position ein. Eine flächendeckende und verbindliche Wärmeplanung ist der richtige Weg zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2045.“
Klimawandel, Pandemie, hohe Energiepreise, allgemeine Inflation, Ukraine-Krieg: „Die aktuelle politische Ausgangslage ist komplex wie selten zuvor“, heißt es weiter in der Studie. Die Wärmewende dürfe die Versorgungssicherheit nicht gefährden, müsse Resilienz sicherstellen und dürfe Nutzer oder Anbieter finanziell nicht überfordern, so dass der soziale Frieden bedroht ist.
„Daher ist es so entscheidend, neben Strom- und Wärmenetzen auch die sinnvolle Option zu haben, die Gasinfrastruktur bei der Wärmewende mit einzubeziehen“, Liebing abschließend.
Konkret schlägt die Studie zum Beispiel vor:
- Die Kommunale Wärmeplanung (KWP) künftig als zentrale Stellgröße für die Weiterentwicklung der Regulierungen zu nutzen. Das eine passende Modell für alle kann es nicht geben, weil Energie-Quellen, Infrastrukturen und Verbrauch genauso wie der energetische Zustand des Gebäude-Bestands von Ort zu Ort verschieden sind. Folglich sollten auch die Entscheidungen zur Strategie für eine klimaneutrale Wärmeversorgung vor Ort getroffen werden. Die KWP kann als Kenngröße und Benchmark verstanden und genutzt werden. Und Netzbetreiber, -Nutzer und Bürgerinnen und Bürger sollten sich darauf langfristig verlassen können.
- Die Netzregulierung flexibel anzupassen, um den Wandel der Gasnetze für alle tragbar zu gestalten. Beispiel: Sollte der Betrieb des Gasnetzes ganz oder teilweise auslaufen und auf Fernwärme oder Wärmepumpe umgestellt werden sollen, sollten auch die Abschreibungsdauern flexibel verkürzt werden können.
- Wer heute Gasnetze betreibt, soll morgen Wasserstoffnetze betreiben dürfen. Auf EU-Ebene plant die Kommission das Unbundling der Gas- und Wasserstoffnetze, also der eigentumsrechtlichen Trennung des Wasserstoff- und Gasnetzes auf Verteilnetzebene. Damit würden unnötige bürokratische Hürden errichtet und effizienter Netzbetrieb verhindert. Besser wäre es, die schon bei Strom- und Gasnetzen bewährte Unterscheidung zwischen Fernleitungsbetreibern und Verteilnetzbetreibern zu erhalten.
- Reserve statt Rückbau: Nicht länger genutzte Gasnetze sollten auch in einen Reservebetrieb gehen können. Das ließe Möglichkeiten für die Zukunft offen, würde die Resilienz stärken. Rückbau- und dann Wiedererrichtungskosten würden damit vermieden.
Die komplette Studie zum Download
(Quelle: VKU)