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23.06.2010

Weltweite Erdgasmärkte vor Veränderungen

Die weltweiten Erdgasmärkte haben in den letzten beiden Jahren auf Grund der Rezession einen noch nie dagewesenen Nachfrageeinbruch erlebt. Dies führte in Verbindung mit einer unerwartet schnellen Expansion von unkonventionellen Gasvorkommen in den USA zu einem weltweiten Überangebot, das die Spotgaspreise drastisch sinken ließ. Dem deutschen und den europäischen Gasmärkten drohen so bis 2015 erhebliche Überkapazitäten, so dass auch Spotpreise auf den internationalen Gasmärkten bis auf weiteres unter Druck bleiben werden. Diese Einschätzung ist der Ausgangspunkt der aktuellen Studie "The Next Cycle: Gas Markets Beyond the Recession", für die die internationale Strategieberatung Booz & Company die Angebots- und Nachfrageseite der globalen Erdgasmärkte und ihre Konsequenzen für die Hauptinteressengruppen analysiert hat.

Niedrige Preise führen zu beschleunigter Umstellung auf Gas in der Stromerzeugung

Das US-Marktpreisniveau von 6 bis 7 US-$/mmbtu für Erdgas wird zukünftig stärker die europäischen Märkte beeinflussen. Der wesentliche Grund hierfür liegt in dem vom Überangebot gekennzeichneten Flüssiggasmarkt und den verstärkt zu erwartenden kurzfristigen Arbitragegeschäften. Damit erhöht sich der bestehende Druck, die herkömmlichen langfristigen, vielfach ölindexierten Lieferverträge in Europa und Asien umzustrukturieren. So entstand in Deutschland mit der Erholung der Ölpreise auf Werte um 80 US-$/Barrel eine Differenz von bis zu 40% zwischen Preisen ölindexierter Verträge und Spotmarktpreisen. Solche anhaltend niedrigen Gaspreise haben das Potential, die Umstellung von CO2-intensiven Brennstoffen wie Öl und Kohle auf CO2-armes Erdgas zu beschleunigen. So kann die Auslastung bestehender Gaskraftwerke auf Basis durchschnittlicher Spotmarktpreise des Jahres 2010 aufgrund dann vergleichbarer Grenzkosten bei der Stromproduktion mit Gas und Kohle erhöht werden. Bei Investitionen in neue Kraftwerke sind gasbetriebene Anlagen bevorteilt. "Gas könnte bei Entscheidungen zum Betrieb bestehender und Bau neuer Kraftwerke zum bevorzugten Energieträger werden. Die Gasnachfrage würde dann bereits schneller auf das Niveau zurückkehren, das vor der Rezession prognostiziert worden war", erläutert Dr. Thomas Schlaak, Partner und Gasexperte bei Booz & Company.

Europäische Gasmärkte nähern sich anderen Rohstoffmärkten an

Eine beschleunigte Nachfragesteigerung zum Abbau bestehender Überkapazitäten basiert auf dem Zugang zu ausreichenden Gasmengen zu Preisen auf Spotniveau durch die Stromerzeuger. Entsprechend ist mit wachsendem Druck auf Konditionen langfristiger Gasimportverträge zu rechnen. Gasproduzenten und Abnehmer werden sich hierbei neben Preissenkungen auch über erhöhte Flexibilität bezüglich Mindestabnahmemengen und Preisfestsetzung inklusive Indexierung zu einigen haben. Damit werden auch die europäischen und die deutschen Gasmärkte stärker als heute von Angebots-/Nachfrage-Dynamiken geprägt und sich damit in Richtung normaler Rohstoffmärkte - wie beispielsweise der Ölmarkt - entwickeln.

Geeignete Portfoliostrategie erfolgskritisch - Position von Großhändlern gerät unter Druck

Die neuen Marktstrukturen bringen vor allem die Energieversorger als größte Abnehmer in eine starke Position. Zwischenhändler und Infrastrukturanbieter sollten dagegen frühzeitig überlegen, wie sie ihre Strategie an die neuen Rahmenbedingungen des Gasmarktes anpassen können. "Die richtige Mischung des Portfolios aus flexiblen und langfristigen Verträgen ist ein zentraler Stellhebel für den Erfolg von Gaserzeugern und -lieferanten. Aus Abnehmersicht sollten die Verträge mit den Lieferanten strategisch an die neuen Rahmenbedingungen angepasst werden. "Zwischenhändler müssen auf einen gesunden Mix aus stabilen Fixverträgen und günstigen Spotpreisen setzen. So können sie ihren Kunden gute und verlässliche Lieferkonditionen anbieten und geraten auch bei sich kurzfristig verändernden Marktbedingungen nicht unter die Räder", empfiehlt Thomas Schlaak.

Zusammenhang Gas- und Kohlepreis entscheidend für Kraftwerksstrategie

Auf Basis des optimierten Gasbezugs müssen Versorger ihre Stromerzeugungsportfolios und -strategien bezüglich Betrieb und Neubau überprüfen. Hier ist eine genaue Kenntnis der Auswirkungen auf die Kohlepreise in einer Situation, in der die Versorger auf Gas umstellen, von entscheidender Bedeutung.

Infrastrukturbereich von großer Unsicherheit gekennzeichnet

Kurzfristig prüfen die Infrastrukturanbieter die Notwendigkeit und Rentabilität der Projekte in ihren Portfolios. Mittelfristig können sich neben den großen Herausforderungen zur Umsetzung profitabler Projekte allerdings durchaus auch Chancen ergeben. So können Besitzer von Kapazitäten zur Regasifizierung von Flüssiggas an unterschiedlichen Standorten von zu erwartender regionaler Preisarbitrage profitieren. Pipelineinvestoren eröffnen sich Opportunitäten vor dem Hintergrund zu erwartender veränderter Flussrichtungen im europäischen Gasnetz. Anbieter von Speicherkapazitäten müssen sorgfältig beurteilen, welche innovativen Geschäftsmodelle im veränderten Gasmarkt entstehen können.