Anlässlich der heutigen BDSV Jahrestagung, die nach zwei Jahren erstmalig wieder in Präsenz stattfand, äußerten sich die Spitzenvertreter der BDSV zu den konjunkturellen Rahmenbedingungen der Branche, zur Energiekrise, zum Erhalt des freien Welthandels und weiteren wichtigen Themen der Branche.
Hat die deutsche Wirtschaft den widrigen Umständen im 1. Halbjahr 2022 noch getrotzt, kühlt sich die Konjunktur seit dem Sommer deutlich ab. Das Bruttoinlandprodukt ist im ersten Quartal um 0,8% gegenüber dem Vorquartal gewachsen. Das leichte Plus ist vor allem einer starken Investitionstätigkeit zu verdanken. Im 2. Quartal ist nur noch ein schwaches Plus von 0,1% zu verzeichnen. Es wurde insbesondere durch private und staatliche Konsumausgaben getrieben.
Die Gaslieferstopps aus Russland und die dadurch ausgelösten drastischen Preissteigerungen verhageln die erwarteten Nachholeffekte nach der Corona-Pandemie. Die Industrie erfährt im Sommer ebenfalls einen Dämpfer. Zum einen behindern anhaltende Lieferschwierigkeiten bei Rohstoffen und Vorprodukten die Produktion. Zum anderen leidet die Nachfrage unter den hohen Preisen und der globalen Konjunkturabschwächung. Dennoch sind die Auftragsbücher der Unternehmen immer noch weit überdurchschnittlich gut gefüllt. Die hohen Energiekosten, ein immer noch hoher Krankenstand und anhaltende Lieferkettenprobleme sorgen dafür, dass der Auftragsbestand nur langsam abgearbeitet wird. Im Bausektor zeichnet sich ein deutlicher Abschwung ab. Neben den hohen Baukosten trägt dazu auch die Zinswende bei.
Die Stahlindustrie reagiert vielerorts mit massiven Produktionskürzungen auf die hohen Energiepreise und die schwächere Nachfrage, sodass die erhoffte Belebung nach den Betriebsferien im Sommer und die für September erwarteten Preissteigerungen für Schrotte ausbleiben.
In den ersten acht Monaten 2022 wurden in Deutschland mit 25,4 Mio. t knapp 5% weniger Rohstahl erzeugt als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Das sind im bisherigen Jahresverlauf rund 1,3 Mio. t weniger als im selben Zeitraum 2021. Im August wurden mit 2,97 Mio. t 2% weniger Rohstahl als im Vorjahresmonat hergestellt. Insbesondere die schrottintensive Elektrostahlproduktion hat einen starken Rückgang um 8,6% auf 715.000 t zu verzeichnen, während die Oxygenstahlproduktion mit 2,2 Mio. t (-0,1%) nahezu konstant bleibt.
Mit Ausbruch des Ukrainekriegs im Februar und dem Ausbleiben der Rohstofflieferungen aus Russland, der Ukraine und Belarus, erhöhte sich die weltweite Nachfrage nach dem Recyclingrohstoff stark. Vor allem gute Qualitäten sind gesucht als Substitut für Roheisenlieferungen aus der Kriegsregion. Preise für Stahlschrott weltweit erreichten im Frühjahr das höchste Niveau seit Jahrzehnten. Die explodierenden Energiekosten und die Verschärfung der Lieferkettenproblematik führt jedoch zu hohen Unsicherheiten entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Hohe, teure Bestände werden möglichst vermieden. Die Marktteilnehmer fahren auf Sicht. Der Stahlhandel agiert zurückhaltend. Der wichtigste Stahlschrottimporteur, die Türkei, konzentriert sich aufgrund der hohen Schrottpreise zunehmend auf günstige Knüppelimporte, sodass der Impuls aus dem Exportmarkt fehlt und im Mai eine Preiskorrektur nach unten einsetzt, die sich über den Sommer fortsetzt und vielfach erst im August gestoppt wird. Der Ferienmonat ist durch ruhigen Handel gekennzeichnet. Der Schrottzulauf ist aufgrund von Betriebsferien in vielen Bundesländern niedrig, sodass ein geringes Aufkommen einer schwachen Nachfrage der Stahlwerke im In- und Ausland gegenübersteht und die Preise einen Boden finden.
Im September dominiert nicht mehr die Frage um die Schrottpreise das Marktgeschehen, sondern die Frage nach Absatzmöglichkeiten, da immer mehr Stahlwerke die Produktion stoppen oder deutlich drosseln. Schlechte Absatzmöglichkeiten für Fertigstahl der türkischen Verbraucher sorgt für wenig Bewegung im Tiefseemarkt. Der Produktionsstandort Deutschland büßt durch die, auch im europäischen Vergleich, hohen Energiekosten an Wettbewerbsfähigkeit ein. Niedrigwasser verschärft im Sommer anhaltende Logistikengpässe und führt zu höheren Nachfrage nach Schienentransporten. Durch die Priorisierung von Energietransporten auf der Schiene ab Herbst ist mittelfristig kaum Entspannung in Sicht.
Der Handel mit Stahlschrott stellt sich auf ein schwieriges letztes Quartal ein. Mit hohen Energiekosten ist weiterhin zu rechnen. Der klimafreundliche und ressourcenschonende Rohstoff aus dem Recycling ist jedoch weltweit gefragt. Der freie Handel mit Stahlschrott ist Voraussetzung, inländische Nachfrageschwankungen ausgleichen zu können.
Die explodierenden Strom- und Gaspreise in Europa stellt das Stahlrecycling vor große Herausforderungen und gefährden die ehrgeizig gesteckten Ziele in Bezug auf Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene. Wie viele andere Unternehmen laufen die BDSV Mitgliedsunternehmen zunehmend in die Gefahr nicht mehr wirtschaftlich produzieren zu können. Sollte die Politik die Lage nicht schnell entschärfen, könnte dies den nachhaltigen Verlust von Arbeitsplätzen bedeuten. Darüber hinaus bedrohen die steigenden Energiekosten und die nicht gesicherte Verfügbarkeit von Energie die Unternehmen der stahlerzeugenden und stahlverarbeitenden Industrie, was direkte negative Auswirkungen auf den Anfall von Recyclingrohstoffen hat.
Die von der Bundesregierung am 29.09.2022 vorgestellte Reaktivierung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), um die Folgen der drastisch gestiegenen Energiepreise für Wirtschaft und private Verbraucher zu lindern, ist ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung. Es kommt nun darauf an, dass die angekündigte Energiepreisbremse schnell und ausreichend wirksam auch für mittelständische Unternehmen funktioniert.
Auf EU-Ebene muss schnellstmöglich das Prinzip der Merit-Order verändert werden, damit die Kopplung des Strompreises an den Gaspreis entfällt. Zudem haben die BDSV und ihre Partnerverbände die Kommission auffordert, das Recycling wieder in die Liste der EU-beihilfefähigen Wirtschaftszweige aufzunehmen.
Der Erhalt des freien Welthandels für Stahlschrott ist ein Thema von zentraler Wichtigkeit für die BDSV und ihre Partnerverbände auf EU- und Bundesebene. Deutlich und immer wieder hat die BDSV darauf hingewiesen, dass der freie Welthandel von Stahlschrotten für die deutschen und europäischen Recyclingunternehmen von existenzieller Bedeutung ist. Derzeit werden auch nur rund 80% des in Europa anfallenden Stahlschrotts von den Stahlwerken und Gießereien abgenommen. Knapp 20 Mio. Tonnen des klimafreundlichen Rohstoffs aus dem Recycling werden aus der EU in OECD und Nicht-OECD Länder exportiert. Außerdem ist der Zugang zu internationalen Märkten für die Stahlrecyclingbranche zum Ausgleich der konjunkturellen Nachfrage von entscheidender Bedeutung, gleiches gilt übrigens auch für die stahlerzeugende und stahlverarbeitende Industrie.
Eine Einschränkung des Handels und die damit einhergehende Abschottung der Endmärkte für Recyclingrohstoffe wird sich negativ auf die Abfallsammlung, das Recycling und die Investitionen zum Ausbau der Recyclingkapazitäten auswirken. Die vorgeschlagenen Exportbeschränkungen bergen das Risko erheblicher Arbeitsplatzverluste in einer Branche, deren Wettbewerbsfähigkeit weitgehend von ihrer Fähigkeit abhängt, Recyclingrohstoffe zu vermarkten, um die Kosten einer ordnungsgemäßen Abfallbewirtschaftung zu decken. Die BDSV fordert deshalb vom Gesetzgeber in Zusammenhang mit der VVA eine Unterscheidung zwischen Rohstoffen aus dem Recycling und unbehandelten Abfällen.
Strengere Exportbeschränkungen für problematische Abfallströme werden von uns ausdrücklich begrüßt. Wir kritisieren allerdings, dass importierte Primärrohstoffe, wie Koks und Erze nicht im CO2-Grenzausgleichmechanismus (CBAM) enthalten sind, während der Export des klimafreundliche Stahlschrotts eingeschränkt werden soll. Recyclingrohstoffe werden hierdurch gegenüber Primärrohstoffen weiter benachteiligt. Dieses Vorgehen gefährdet die Ziele des EU-Recyclings und einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft in Europa und Deutschland nachhaltig.
Die BDSV Mitgliedsunternehmen, die die Stahlwerke mit dem hochwertigen Sekundärrohstoff Stahlschrott versorgen, stehen bereit, ihren Teil zur Dekarbonisierung der Stahlproduktion beizutragen. Bei Kohlenstoffstahl kann die Stahlindustrie durch den Einsatz von Stahlschrott durchschnittlich 1,67 Tonnen CO2 je erzeugter Tonne einsparen – bei rostfreiem Edelstahl sind dies sogar 4,3 Tonnen CO2.
Bereits heute ist es möglich, den Schrotteinsatz in der Hochofenroute von derzeit 20% auf 30% zu erhöhen, wie dies in den USA und in China erfolgreich praktiziert wird. Zusätzliche CO2-Einsparungen verspricht sich die Stahlrecyclingbranche durch den verstärkten Ausbau der Elektroofenroute zur Stahlproduktion.
Ein gutes Beispiel hierfür ist die Georgsmarienhütte GmbH in der Nähe von Osnabrück, welche in den Neunzigerjahren die Stahlproduktion vom Hochofen-Konverter-Betrieb auf das Gleichstrom-Elektrolichtbogen-Verfahren umgestellt hat. Statt Koks und Eisenerze werden hier bis zu 100 Prozent Schrotte eingeschmolzen und dabei rund 80 Prozent weniger Treibhausgase emittiert als in der Hochofenroute. Die BDSV befindet sich im Austausch mit der Stahlindustrie, um gemeinsam dem Klimawandel entgegenzuwirken.
Darüber hinaus hat sich die BDSV dafür eingesetzt, dass der „Schrottbonus“ in das europäische Emissionshandelssystem integriert wird. Dies wäre aus Sicht des Verbands u. a. durch die Kopplung von kostenlosen Zertifikaten an den Schrotteinsatz und die Berücksichtigung im CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) möglich.
Die anhaltenden Logistikprobleme auf der Straße, den Schienenwegen und den Wasserstraßen in Deutschland belasten die Stahlrecyclingbranche bereits seit längerem, in diesem Jahr aber besonders stark. Im Sommer 2022 konnten aufgrund der niedrigen Pegelstände viele Schrotttransporte nur noch eingeschränkt mit Binnenschiffen durchgeführt werden. Die Mitgliedsunternehmen waren gezwungen, auf andere Verkehrsträger auszuweichen, die ebenfalls knapp und teuer waren. Der im Rahmen der Energieversorgungskrise angeordnete Vorrang für Energietransporte auf der Schiene wird die ohnehin bereits angespannte Logistiksituation auf der Schiene weiter verschärfen. Fehlendes Wagenmaterial und zu wenig Personal sind bereits bisher stark negativ wirkende Faktoren. Die BDSV hält trotzdem an ihrer Initiative fest, mehr Schrotttransporte auf die Schiene zu verlagern. Innovative Konzepte wie der m2-Wagen sollen die kombinierten Verkehre erleichtern. Auch die Straßentransporte, die für viele Frachten nicht zu vermeiden sind, werden durch hohe Treibstoffkosten und den akuten Fahrermangel stark belastet.
Das Thema Personalmangel bleibt in der Stahlrecyclingbranche akut und der fortschreitende, demographische Wandel wird hier weiterhin verschärfend wirken. Umfragen des BDSV Aus- und Weiterbildungsinstituts ISM GmbH haben ergeben, dass ca. 40% der Befragten, Schwierigkeiten haben geeignetes Personal zu finden. Um dem Personalmangel entgegenzuwirken, entwickelt die ISM zusammen mit den BDSV Mitgliedsunternehmen derzeit geeignete Konzepte und bietet ein breites Weiterbildungsspektrum an. Hierzu gehören u. a. die Entwicklung einer speziellen Weiterbildungsinitiative für Quereinsteiger und Aufsteiger, einer Arbeitgebermarke für die Branchenunternehmen, die Unterstützung von Mitgliedsunternehmen bei Ihrem Auftritten auf Berufsbildungsmessen und die zielgruppengerechte Ansprache von Job- und Ausbildungsplatzinteressenten. Neu im Angebot der ISM GmbH ist, dass seit Mitte September 2022 neben Online- und Präsenzseminaren nun auch 75 verschiedene eLearning-Kurse angeboten werden. Der Vorteil für die Lernenden ist die zeit- und ortsunabhängige Weiterbildung und der elektronische Nachweis von nachweispflichtigen Qualifikationen.
Komplizierte und langwierige umwelt- und baurechtliche Genehmigungsverfahren behindern viele BDSV Mitgliedsunternehmen bei Ihren Investitionen – Tendenz steigend. In der jüngsten Branchenumfrage des Verbands geben 22% der befragten Mitgliedsunternehmen an, dass wegen derartiger Behinderungen geplante Investitionen in Zukunftstechnologien der Kreislaufwirtschaft aufgegeben wurden. Zu den aufgegebenen Investitionsprojekten gehören die Einführung neuer Recyclingverfahren, der Bau neuer Aufbereitungsanlagen, BImSchG-Genehmigungen, Erweiterungen der bestehenden Genehmigungen, Änderung der Lagerflächen und der Bau von Lager- bzw. Produktionshallen. Auch die flexible Aufstockung von Lagerkapazitäten zur Überbrückung von Marktschwankungen, wie z. B. die durch die Coronapandemie oder die Energiekrise, bereitet vielen Mitgliedsunternehmen Probleme.
Die BDSV fordert hierzu die Bundesländer auf, unbürokratische, genehmigungsrechtliche Ausnahmen zur Erhöhung der Lagerkapazitäten zuzulassen, damit Annahmestopps vermieden werden können und der Recyclingkreislauf nicht unterbrochen wird. Neben der generellen Beschleunigung der Genehmigungsverfahren, sollten, nach Auffassung der BDSV, Stahlrecyclingbetriebe, die einen signifikanten Beitrag zur Reduktion von CO2-Emissionen leisten, insgesamt stärker gefördert werden. Genauso wie die Stahlindustrie benötigt die Stahlrecyclingindustrie Fördergelder für Forschungsprojekte, mit denen u. a. die Anforderungen an Stahlschrotte im Rahmen der Transformation der Stahlindustrie erforscht werden sollen.
Die FAR Fachgruppe Autorückmontage setzt sich weiterhin für eine Stärkung des Verwertungsnachweises ein. Von der Revision der EU-Altfahrzeugrichtlinie erwartet die Fachgruppe tiefgreifende Änderungen, u. a im Bereich der Herstellerverantwortung und Lösungen gegen die illegale Altfahrzeugverwertung. Zudem beschäftigt sich die FAR intensiv mit den genehmigungsrechtlichen Veränderung durch die Verwertung von Elektrofahrzeugen und den erforderlichen Qualifikationen hierfür.
Bei der Entsorgung von Elektroaltgeräten werden oft die darin enthaltenen Lithium-Ionen-Batterien nicht ordnungsgemäß ausgebaut und landen dann häufig als sogenannte „Fehlwürfe“ in den Recyclingstoffströmen der Stahlrecyclingbranche. Diese Entwicklung führt dazu, dass viele Unternehmen der BDSV mehrmals pro Jahr Feuerwehreinsätze mit zum Teil erheblichen Schäden haben, die durch Lithium-Ionen-Batterien ausgelöst wurden. In der Folge steigen die Versicherungsprämien der Unternehmen an und es wird zunehmend schwieriger einen Versicherer zu finden. Das eigentliche Problem entsteht aber bereits bei der Entwicklung und dem Inverkehrbringen der Produkte. Die Vermeidung von Batteriebränden ist für die BDSV Mitgliedsunternehmen ein äußerst wichtiges Thema.