Können Sie uns die Protiq GmbH kurz vorstellen?
Dr. Ralf Gärtner: Gern. Wir sind einerseits ein AM-Fertiger mit aktuell rund 15 Anlagen für die additive Verarbeitung von Kunststoffen und Metallen. Das reicht vom Lasersintern über das Selektive Laserschmelzen bis Poly-/Multijet und Stereolithographie; teils setzen wir hauseigene Anlagentechnik ein und fertigen mit schwierigen Materialien wie Kupfer, Messing oder Zink.
Wir fertigen für den Weltmarkt, sind als Protiq Amerika online und werden zeitnah die Protiq Indien starten. Überall wo Phoenix Contact Infrastruktur vorhält, werden wir produzieren. Denn wenn man Bauteile über Nacht fertigen kann, sollte man nicht eine Woche mit dem Transport vergeuden. Neben dem Geschäft als Fertiger bauen wir einen AM-Marktplatz auf.
Denn es gilt, unsere Geschäftsprozesse an den heutigen Möglichkeiten auszurichten. Als Verantwortlicher für den Werkzeugbau von Phoenix Contact erlebe ich, dass zwischen erster Anfrage und der Lieferung oft Wochen liegen. Auf unserer Plattform können Kunden 3D-Daten hochladen, diese sofort analysieren und gegebenenfalls optimieren lassen, die Material- und Herstellungskosten vergleichen und sofort bestellen. Dafür haben wir eine sichere Plattform-Algorithmik geschaffen.
Zudem binden wir externe Partner wie FKM oder die Steinbach AG ein, um unseren Kunden ein umfassendes Angebot an AM-Verfahren und -Materialien anbieten zu können.
Wie ist die Wertschöpfungskette auf der Plattform organisiert?
Gärtner: Bestellprozess, Abrechnung und das Datenhandling entlang der AM-Prozesskette sind digital voll integriert: vertikal wie horizontal. Payment-Provider und Logistik-Serviceprovider sind über Schnittstellen angebunden und bekommen alle benötigten Daten vollautomatisch. Wir haben zudem eine Kooperation mit Conrad Electronic.
Kunden können über deren Website 3D-Daten zu uns hochladen und sie bei uns fertigen lassen. Auch hierbei handelt es sich um einen komplett digitalen, hochgradig automatisierten Prozess. Wir fertigen Einzelteile, Prototypen sowie Kleinserien und haben einen Schwerpunkt auf Sondermaterialien. Wir sind u.a. weltweit die einzigen, die hochleitfähiges Kupfer additiv verarbeiten können.
Um das Materialangebot auszuweiten, kooperieren wir zudem sehr eng mit Materialherstellern. Sie liefern neue Legierungen. Wir entwickeln im Gegenzug Prozessparameter für deren additive Verarbeitung. Beide Seiten profitieren dabei. Ähnliche Entwicklungskooperationen pflegen wir mit verschiedenen Anlagenbauern und im Bereich der Nachbearbeitung. Abgerundet wird unser Angebot durch Dienstleistungen rund um den Konstruktionsprozess: Etwa Simulationen von Magnetfeldern für Induktoren oder zur Topologie-Optimierung von AM-Bauteilen sowie auch Schulungen und Beratung.
Auf Basis dieser Erfahrungen entwickeln wir mit Partnern unsere Plattformangebote weiter, etwa indem wir unsere Konfiguratoren für Induktoren und Zahnräder optimieren. Letztlich standardisieren wir Parameter abgeschlossener Projekte und schaffen so automatisierte Engineering-Lösungen. Die Konfiguration von Kupferinduktoren wird zu einer Sache von Minuten. Fünf bis acht Tage später sind sie beim Kunden. Herkömmlich dauert dieser Prozess acht bis zehn Wochen.
In den nächsten Wochen werden wir mit Partnern einen Online-Topologieoptimierer launchen, der Kunden anhand der Lastanforderungen an ihr Bauteil weitgehend automatisiert zur optimierten Bauteilauslegung führt.
Aus welchen Branchen kommen die Kunden, die AM-Bauteile bei Ihnen ordern?
Gärtner: Es sind bisher 99 Prozent B2B-Kunden: Maschinen-, Anlagen- und Werkzeugbauer, Medizintechnikfirmen, Firmen aus Automobilindustrie, Elektro- und Elektronikbranche, aber auch aus Architektur, Kunsthandwerk oder Messe- und Ausstellungsbau. Immer mehr Kunden nutzen AM zur Ersatzteilbeschaffung.
Auch die Optimierung herkömmlicher Fertigungsverfahren etwa durch additiv gefertigte, konturnah gekühlte Werkzeuge spielen eine wichtige Rolle. Hierzu zählt auch das sehr schnell wachsende Induktoren-Geschäft. Bei diesen Anwendungen haben wir es mit professionellen Kunden zu tun, die hohe Anforderungen an AM-Bauteile stellen, da sie diese in Serie einsetzen.
Anmutung und mechanische Eigenschaften müssen bei solchen Kleinserien dem Niveau herkömmlich gefertigter Lösungen entsprechen. Auch Zertifizierung ist ein Thema. Die Kunden erwarten, dass wir für ihre Branchen relevante Zertifikate vorlegen.
Wünschen Sie sich als Anwender Optimierungen der heutigen Anlagentechnik?
Gärtner: Auch wenn sie besser wird, ist sie längst nicht ausgereift. Das beginnt bei dem nach wie vor begrenzten Materialangebot. Technische Thermoplaste und Standardkunststoffe wie Polyethylen oder Polypropylen, die sich additiv verarbeiten lassen und dann auch die industriell benötigten mechanischen Eigenschaften mitbringen, sind rar.
Gleiches gilt im Metallbereich für die Verarbeitung hochfester Stähle. Materialien und auch die Anlagentechnik dafür fehlen. Wir entwickeln dafür teils eigene Lösungen - auch um zu zeigen, dass wir es ernst meinen. Wichtig ist auch, dass wir schlankere, fließende AM-Prozesse etablieren. Der Vorteil von AM ist doch, dass wir komplexe Einzelstücke fertigen können. Aber der Trend geht dahin, möglichst viele Teile im Bauraum zu batchen und zu warten bis das letzte Teil soweit ist.
Wir brauchen Lösungen, um ein Stück im Fluss zu fertigen! Schneller als heute, etwa durch die Belichtung ganze Ebenen statt einzelner Punkte oder durch eine andere Materialzufuhr als im Pulverbett. Auch bedarf es Schnittstellen, um Bauteile sofort automatisiert der Nachbearbeitung zuzuführen. Optimierungsbedarf besteht zudem in Dokumentation und Qualitätssicherung. Da fehlt es an unabdingbaren Features, die wir teils selbst entwickeln, weil wir sie brauchen!
Wie stellen Sie sich die typische AM-Prozesskette im Jahr 2030 vor – und wer nutzt sie?
Gärtner: Wir werden verfahrensgemischt automatisierte Prozessketten sehen, in denen AM nur eine Station unter vielen ist. Subtraktive und additive Verfahren gehen dabei Hand in Hand, um Bauteile funktional zu optimieren und zugleich ressourceneffizient zu fertigen. Nicht nur auf der Hardwareebene wird diese Prozesskette voll automatisiert sein, sondern es braucht die digitale Verkettung, damit AM-Systeme und Fräse wissen, wo Material aufzubauen und abzutragen ist, die Erodiermaschine schon Material für ihren Bearbeitungsschritt vorhalten kann und auch die Messmaschine aus dem CAM-Daten weiß, welche Messpunkte am Bauteil sie anzusteuern hat. Die Automatisierung ist nötig, damit Additive Manufacturing hier am Standort eine Zukunft hat.
Mit welchen Zielen haben Sie sich der Arbeitsgemeinschaft Additive Manufacturing angeschlossen?
Gärtner: So wie es gilt, die Fertigungsprozesse zu vernetzen, so müssen wir uns auch als Akteure vernetzen. Wir können und wollen AM-Prozessketten nicht allein zur Reife bringen, sondern setzen auf Zusammenarbeit mit Anlagenherstellern, Zulieferern, Materiallieferanten und Forschern. Sie alle treffen wir in der Arbeitsgemeinschaft.
Gemeinsam können wir uns so wichtigen Fragen wie der Standardisierung, Zertifizierung oder der Interessenvertretung auf der politischen Ebene zuwenden. Denn wir brauchen verlässliche und praktikable regulatorische Rahmenbedingungen, um additive Manufacturing als industriellen Prozess zu verankern. Sei es in Fragen der Produkthaftung, der Arbeitssicherheit oder der gewerblichen Schutzrechte.