Wer Digitalisierung im Sinn hat, denkt an urbane Vorreiter, agile Konzerne und vielleicht erst dann an Regionen wie Südwestfalen, die von Wald, Wiese und Wirtschaft geprägt sind. Doch genau hier sind es die Weltmarktführer, Hidden Champions und Zulieferer, die zum Teil mit Jahrhunderte währender Tradition als Motor unserer Wirtschaft agieren. Und sie treiben die digitale Veränderung weit mehr voran, als es viele Mahner und Kritiker wahrhaben wollen. Das hat bereits 2017, als eine der ersten, die Studie der B2B-Agentur PSV gezeigt. Frank Hüttemann, Chef der Agentur, die selbst Teil des südwestfälischen Mittelstands ist, bezieht Position in der Frage nach dem Wandel, der seiner Meinung nach keiner ist.
Was waren die wesentlichen Erkenntnisse Ihrer Umfrage, und warum halten Sie Wandel für falsch?
Die Ergebnisse unserer damaligen Untersuchung haben sich inzwischen längst bestätigt. Die Implementierung von Technologien im Sinne der 4.0-Produktion läuft. Es drängt aber nach wie vor beim Thema Sicherheit, der digitalen Infrastruktur und vor allem beim Thema Mitarbeiterkompetenz und damit beim Thema Nachwuchs- und Fachkräftemangel. Standortbedingt ist das Letztere gerade auch ein Appell zum Umdenken des Regionalmarketings. Denn das ist ebenso vergleichbar wie die Probleme von der Demographie über die Abwanderung bis hin zur Identität. Hier braucht es ein Umdenken, einen Paradigmenwechsel, eine Reform, die dem Regionalmarketing dabei hilft, endlich mal wirksam zu sein.
Es geht um eine klare Haltung und Klarheit muss auch geschaffen werden, wenn wir Digitalisierung wollen. Die Vokabel Wandel bedeutet für mich, etwas Bestehendes zu verändern, es anzupassen, aber im Kern zu erhalten. Wenn man jedoch auf die Digitalisierung blickt, muss man verstehen, dass vieles, was früher funktioniert hat, heute keinen Sinn mehr ergibt, selbst wenn man es anpasst. Daher ist mir der Begriff Transformation lieber – sich in etwas Neues, vielleicht sogar etwas völlig Anderes zu verwandeln. Das muss das Ziel sein. Ich brauche Transformation, nicht Wandel. Keine Raupe mit Flügeln, sondern einen Schmetterling. Ich brauche etwas Besseres.
Müssen sich die Unternehmen schneller digitalisieren?
Wenn Digitalisierungsexperten vor dem Mittelstand darüber plaudern, dass man gleich weg vom Fenster sei, wenn man jetzt nicht 4.0 mache, rege ich mich auf. Ja, Unternehmen müssen sich verändern, um den neuen Anforderungen der Märkte gerecht zu werden. Automation, Plattformökonomie, Agilität, Rationalisierung und vor allem Individualisierung sind die Parameter, in denen sich Unternehmen heute für die Zukunft ausrichten müssen. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir alle in diesen Zeiten auf dem gleichen Wissensstand sind. Ein Online-Shop und eine vernetzte Fertigung sind keine Garanten für gelungene Digitalisierung. Dazwischen sind Menschen, die die Veränderung treiben. Und von ihr getrieben werden.
Und bei dem Thema fangen wir alle bei Null an, denn die sozialen Folgen des digitalen Wandels sind uns doch noch gar nicht klar. Das sieht man doch daran, wie viele Leute Angst vor so etwas wie Facebook haben – und nicht verstehen, dass das bereits eine weltweite Kommunikationsform, eine Kulturtechnik ist. Wir müssen lernen, dass die Transformation um uns herum bereits läuft, und wir die Transformation nur beherrschen können, wenn wir uns selbst neu denken, wenn wir verstehen, was passiert, wenn wir das, was wir da krampfhaft bewahren wollen, auch mal auf seine Existenzberechtigung abklopfen. Wenn wir dann den Mut haben, das auch mal neu zu denken, von außen, nicht von innen, dann müssen wir auch keine Angst vor der Zukunft haben.“