Wie Metalle genutzt werden, hängt besonders von den Eigenschaften ihrer Oberflächen ab. Ein Forschungsteam der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat herausgefunden, wie sich diese Eigenschaften verändern lassen, ohne die Stabilität der Metalle anzugreifen oder die Metalleigenschaften an sich zu verändern.
Die weltweit neuartige Methode basiert auf einem elektrochemischen Ätzverfahren, bei dem die oberste Schicht eines Metalls im Mikrobereich kontrolliert aufgeraut wird. Metalle wie Aluminium, Titan oder Zink lassen sich dank des „nanoscale-sculpturing“-Verfahrens mit nahezu allen Materialien dauerhaft verbinden, werden wasserabweisend oder erhöhen ihre Biokompatibilität.
Die Einsatzmöglichkeiten dieser „Superverbindungen“ sind extrem vielfältig und reichen von der Metallverarbeitung in der Industrie bis zu verträglicheren Implantaten in der Medizintechnik. Die Ergebnisse wurden jetzt in der renommierten Zeitschrift „Nanoscale Horizons“ der Royal Society of Chemistry veröffentlicht.
Durch Erwärmen lässt sich ein Streifen Aluminium, dessen Oberfläche zuvor mit einem elektrochemischen Ätzverfahren bearbeitet wurde, untrennbar mit einem Thermoplast verbinden. Photo: Julia Siekmann/CAU
„Eine Technologie, die bislang nur von Halbleitern bekannt ist, haben wir jetzt auf Metalle angewendet. Dieses Verfahren so zu nutzen, ist völlig neu“, sagt Dr. Jürgen Carstensen, Mitautor der Publikation. Bei dem Verfahren werde die Oberfläche eines Metalls in eine Halbleiterschicht umgewandelt, die chemisch geätzt und gezielt verändert werden kann.
„Wir haben damit ein Verfahren entwickelt, das Metalle im Gegensatz zu anderen Ätzverfahren nicht schädigt und ihre Stabilität nicht angreift“, betont Professor Rainer Adelung, der am Institut für Materialwissenschaft die Arbeitsgruppe „Funktionale Nanomaterialien“ leitet.
„So können wir Metalle dauerhaft verbinden, die bisher nicht direkt miteinander verbunden werden konnten, zum Beispiel Kupfer und Aluminium“, ordnet Adelung den Durchbruch ein.
Auch große Metallflächen lassen sich mit dem Ätzverfahren behandeln. Obwohl das Verfahren nur innerhalb einer dünnen Schicht im Mikrometerbereich angewendet wird, ist die entstandene Veränderung mit bloßem Auge sichtbar. Photo : Julia Siekmann/CAU
Wie funktioniert das „nanoscale-sculpturing“-Verfahren genau?
Die Oberfläche von Metallen besteht aus vielen verschiedenen Kristallen und Körnern, von denen einige chemisch weniger stabil sind als andere. Diese instabilen Partikel können mit dem gezielten Ätzverfahren aus der Oberfläche des Metalls herausgelöst werden. Die oberste Schicht wird durch das Ätzen aufgeraut, es entsteht eine dreidimensionale Oberflächenstruktur.
Die Eigenschaften der Oberfläche verändern sich, nicht aber die des gesamten Metalls. Denn geätzt wird nur 10 bis 20 Mikrometer tief – eine Schicht, so dünn wie ein Viertel eines Haardurchmessers. Das Kieler Forschungsteam nennt das Verfahren daher „nanoscale-sculpturing“.
Die Veränderung durch das Ätzen ist mit bloßem Auge zu sehen: Die Oberfläche wird matt. „Behandeln wir ein Metall zum Beispiel mit Schmirgelpapier, erhalten wir zwar auch eine sichtbare Veränderung, aber sie ist nur zweidimensional und ändert noch nicht die Eigenschaft der Oberfläche“, erklärt Dr. Mark-Daniel Gerngroß aus dem Forschungsteam der Kieler Materialwissenschaft.
Durch das Ätzverfahren entsteht dagegen eine 3D-Oberfläche mit kleinen Haken. Wird jetzt ein verbindendes Polymer zwischen zwei bearbeiteten Metallen aufgebracht, verhaken sich die Oberflächen der Metalle wie ein dreidimensionales Puzzleteil in alle Richtungen miteinander.
„Diese 3D-Puzzleverbindungen sind praktisch nicht zu lösen. In unseren Versuchen riss eher das Metall oder das Polymer, aber nicht die Verbindungsstelle“, sagt Melike Baytekin-Gerngroß, Erstautorin der Veröffentlichung.
Das Kieler Forschungsteam mit Melike Baytekin-Gerngroß (links), Mark-Daniel Gerngroß, Jürgen Carstensen, Rainer Adelung vergleicht Testergebnisse im Labor. Photo: Julia Siekmann/CAU
Oberflächen mit multifunktionalen Eigenschaften
Auch eine dünne Fettschicht, wie sie etwa ein Fingerabdruck auf einer Oberfläche hinterlässt, kann der Verbindung nichts anhaben. „In unseren Tests haben wir sogar Getriebeöl auf Metalloberflächen gestrichen. Die Verbindung hielt trotzdem“, betont Baytekin-Gerngroß. Eine aufwendige Reinigung von Oberflächen, zum Beispiel die Vorbehandlung von Schiffswänden, bevor sie mit Farbe gestrichen werden, könnte damit entfallen.
Zusätzlich setzte die Forschungsgruppe die Puzzle-Verbindungen großer Hitze und Feuchtigkeit aus, um Wetterverhältnisse zu simulieren. Auch das beeinträchtigte ihre Haltbarkeit nicht. Carstensen: „Unsere Verbindungen sind extrem robust und witterungsbeständig.“
Dass die Oberflächen von Metallen durch die Ätzung wasserabweisend werden, ist ein praktischer Nebeneffekt des Verfahrens. Die entstandene Hakenstruktur wirkt wie ein eng ineinander verkeiltes 3D-Labyrinth ohne Löcher, in die Wasser eindringen könnte. Die Metalle besitzen praktisch einen eingebauten Korrosionsschutz.
„Dieses Verhalten kennen wir von Metallen wie Aluminium eigentlich nicht. Ein Lotuseffekt bei reinen Metallen, also ohne Auftragen einer wasserabweisenden Extra-Schicht – das ist neu“, sagt Adelung.
Aluminiumplättchen, die lediglich sandgestrahlt wurden (im Bildhintergrund), können nicht verklebt werden. Die Aluminiumplättchen vorn wurden vor dem Verkleben mit dem Ätzverfahren „nanoscale sculpturing“ behandelt. Photo: Julia Siekmann/CAU
Unendliche Einsatzmöglichkeiten
„Die denkbaren Anwendungen sind unglaublich breit gefächert, von metallverarbeitender Industrie wie Schiff- oder Luftfahrt über Drucktechnik und Brandschutz bis zu medizinischen Anwendungen“, sagt Gerngroß.
Denn mit dem „nanoscale?sculpturing“-Verfahren werde nicht nur eine 3D-Oberflächenstruktur gewonnen, die sich ganz ohne Chemie rein physikalisch verbinde. Durch das gezielte Ätzen können auch schädliche Partikel aus der Oberfläche entfernt werden, was insbesondere für die Medizintechnik von großem Interesse sei. Für medizinische Implantate wird häufig Titan verwendet. Zur mechanischen Festigung werden ihm kleinste Mengen Aluminium zugesetzt.
Das Aluminium kann jedoch unerwünschte Nebenwirkungen im Körper auslösen. „Mit unserem Verfahren können wir Aluminiumpartikel aus der obersten Schicht entfernen und erhalten so eine deutlich reinere Oberfläche, die für den menschlichen Körper viel verträglicher ist. Weil wir auf der obersten Schicht nur im Mikrobereich arbeiten, wird die Festigkeit des gesamten Implantats dadurch nicht eingeschränkt“, ist Carstensen überzeugt.
Bereits vier Patente haben die Kieler Forschenden auf das Verfahrensprinzip angemeldet. Firmen zeigen bereits großes Interesse an den Anwendungsmöglichkeiten. „Auch Fachkollegen aus der Materialwissenschaft haben auf unsere Erkenntnisse mit Begeisterung reagiert“, freut sich Adelung.
Details, die nur Millionstel Millimeter groß sind: Damit beschäftigt sich der Forschungsschwerpunkt „Nanowissenschaften und Oberflächenforschung“ (Kiel Nano, Surface and Interface Science – KiNSIS) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU).
Im Nanokosmos herrschen andere, nämlich quantenphysikalische, Gesetze als in der makroskopischen Welt. Durch eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Materialwissenschaft, Chemie, Physik, Biologie, Elektrotechnik, Informatik, Lebensmitteltechnologie und verschiedenen medizinischen Fächern zielt der Schwerpunkt darauf ab, die Systeme in dieser Dimension zu verstehen und die Erkenntnisse anwendungsbezogen umzusetzen.
Molekulare Maschinen, neuartige Sensoren, bionische Materialien, Quantencomputer, fortschrittliche Therapien und vieles mehr könnte daraus entstehen.